Die Finanzkrise hat die Laune der Menschen nur kurz getrübt

Fragt man Banker oder Politiker danach, welches Jahr das dramatischste für ihr Land war, das sie je erlebt haben, werden die meisten vermutlich das Jahr 2008 nennen. Lisa Nienhaus kennt den Grund: „Im Oktober 2008 stürzte nach der Pleite der Bank Lehman Brothers das Finanzsystem der Welt zusammen – und zog diverse Firmen mit sich.“ So mussten beispielsweise Banken und Versicherungskonzerne mit Steuergeldern gerettet werden, Autokonzerne und mittelständische Unternehmen gingen in Konkurs. Allein in den USA verloren im Jahr 2008 mehr als zwei Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz, in Deutschland brach ein Boom bei der Kurzarbeit aus. In Island mussten die großen Banken abgewickelt werden. Das Land, einst eines der reichsten Nationen der Welt, musste sich Geld beim Internationalen Währungsfonds besorgen. Lisa Nienhaus ist Wirtschaftsredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Schon die Sorge um den eigenen Arbeistplatz drückt aufs Gemüt

Die Finanzkrise war nicht nur ein Schock für die betroffenen Volkswirtschaften sondern auch ein Desaster für die Menschen. Ihr Leben wurde sehr negativ beeinflusst, da sie entweder arbeitslos wurden oder viel Geld verloren. Beides macht bekanntlich unglücklich. Lisa Nienhaus schreibt: „Und selbst wer in Arbeit bleibt: Schon die Sorge um die eigene Stelle drückt die Stimmung. Und Unglück und Arbeitslosigkeit gehen oft einher mit einem ungesunden Leben.“ Mehre Forscher haben diesen Zusammenhang erkannt und ganz genau untersucht.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler lassen aufhorchen. Angus Deaton, Ökonom aus Princeton, hat beispielsweise erforscht, wie stark die Finanzkrise das Gemüt der Amerikaner angegriffen hat. Er fand heraus, dass nicht nur die Weltwirtschaft vom Lehman-Schock erschüttert war, sonder auch die einzelnen amerikanischen Bürger. Nach dem Oktober 2008 stiegen vor allem Sorge und Stress bei den Amerikanern stark an, während Gefühle wie Freude, Glück und Lachen stark zurückgingen. Aber diese depressive Phase hielt weit weniger lang an als die Depression der Wirtschaft.

Die Jahrhundertkrise hat sich nicht zu einem Jahrhundertunglück entwickelt

Während die Arbeitslosigkeit in Amerika auch ein Jahr nach der Lehman-Pleite weiter hoch war und die Staatsverschuldung kaum in den Griff zu bekommen war, hatte sich die Psyche der Amerikaner zum gleichen Zeitpunkt schon wieder sehr gefestigt. Lisa Nienhaus erklärt: „Ihnen ging es Ende 2009 genauso gut wie Mitte 2008, also kurz vor Lehman. Das ist besonders vor dem Hintergrund erstaunlich, dass die Glücksforschung zwei wirtschaftliche Faktoren als Unglückstreiber sieht: Arbeitslosigkeit und Verlust von Einkommen.“

Und Ende 2009 waren die Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Einkommensverluste laut Lisa Nienhaus weiterhin sehr hoch, auch wenn sie nicht weiter zunahmen. Ihrer Meinung nach hatten sich die Amerikaner scheinbar mit der neuen Situation abgefunden. Die wirtschaftlich sicher ungewöhnlich dramatische Krise war psychisch überwunden. Sie beeinträchtigte das Glück und das Wohlbefinden der Amerikaner nicht mehr. Möglicherweise war die Finanzkrise eine Jahrhundertkrise, aber sie hat sich nicht zu einem Jahrhundertunglück für die Menschen entwickelt.

Von Hans Klumbies