Charles Pépin stellt sich auf die Seite der Philosophen der Kontingenz

Im Kern der Begegnung bietet sich der Zufall bisweilen als Schicksal dar. Doch das kann über seine wahre Natur nicht hinwegtäuschen, für die in der Philosophie der Begriff „Kontingenz“ verwendet wird. Charles Pépin erläutert: „Kontingenz ist das, was ist, aber auch hätte nicht sein können, und steht der Idee der Notwendigkeit oder Determiniertheit gegenüber: das, was ist und nicht hätte nicht sein können.“ Charles Pépin stellt sich auf die Seite der Philosophen der Kontingenz, zu denen Epikur oder Jean-Paul Sartre zählen, und gegen die Philosophen der Notwendigkeit wie Mark Aurel oder Baruch de Spinoza. Letztere gehen davon aus, dass alles einer höheren Notwendigkeit unterworfen ist. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Der Handelnde bietet dem Zufall sie Stirn

Wenn das Schicksal die Schritte eines Menschen lenkt, dann hat er auch nicht die Möglichkeit, Begegnungen durch sein Handeln zu begünstigen. Charles Pépin erklärt: „Epikur zufolge kann ich, im Gegenteil, erst dadurch, dass ich das ganze Ausmaß der Kontingenz des Zufalls erfasse, den glücklichen Zufall würdigen, dich getroffen zu haben; unsere Geschichte hätte auch nie beginnen können.“ Das verleiht fürwahr einem ersten Kuss eine zusätzliche Würze, der beginnenden Freundschaft eine größere Tiefe, der beruflichen Partnerschaft eine andere Dimension.

Charles Pépin betont: „Die Wirklichkeit und unsere Begegnungen auf der Basis dieses Kontingenzbegriffs zu denken, ist eine gute Methode, um das Leben zu genießen, seinen Wert und Preis zu begreifen und aus dem Staunen angesichts der Überraschungen, die das Leben für uns bereithält, ja angesichts der schlichten Tatsache, dass es da ist, nicht mehr herauszukommen.“ Handeln bedeutet, die Kontingenz herauszufordern, dem Zufall die Stirn zu bieten.

Aristoteles zufolge ist die Welt durch Kontingenz geprägt

Wenn die Wirklichkeit nicht kontingent, sondern notwendig wäre, wenn alles was geschieht, nicht nicht sein könnte, dann wäre es schwierig, eine Philosophie des Handelns aufrechtzuerhalten. Charles Pépin stellt fest: „Doch in einer kontingenten Welt wird Handeln zu einer entscheidenden Triebfeder. Indem ich mich in Bewegung setze, bewirke ich Veränderungen, deren Folgen ich zwar nicht genau abwägen kann, die aber die Kausalitätsketten beeinflussen werden.“ Handeln gestaltet die Welt um, mischt die Karten neu.

Aristoteles hat eine Philosophie des Handelns entwickelt, eben weil die Welt ihm zufolge durch Kontingenz geprägt ist. Diese Kontingenz eröffnet einen Raum für die Freiheit der Menschen und verlangt von ihnen die Gabe, die günstigen Gelegenheiten – Kairoi – zu ergreifen, um zu handeln. Charles Pépin weiß: „Übrigens ist Aristoteles einer der ersten Verfechter der Demokratie gewesen: An die Demokratie zu glauben, heißt, an ein gemeinsames Handeln zu glauben, durch das die Dinge verändert werden können.“ Quelle: „Kleine Philosophie der Begegnung“ von Charles Pépin

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar