Wilhelm Schmid philosophiert über die Naturliebe des Menschen

Was eigentlich die Natur ist, lässt sich heute weniger sagen denn je. Menschen, die selbst eine Art von Natur darstellen, wirken auf sich selbst sowie auf ihre Umwelt ein und verändern sie. Die veränderte Natur wirkt dann wieder auf die Menschen zurück. Wilhelm Schmid ergänzt: „Nur beim Vergleich eines gegenwärtigen Zustandes mit vormaligen Zuständen lassen sich Einwirkung und Rückwirkung messen, den eigentlichen Naturzustand zu bestimmen aber ist schwierig.“ Eine reine Natur ohne menschliche Einwirkung kann es auf der Erde längst nicht mehr geben. Denn jeder einzige Atemzug eines Menschen hinterlässt Spuren, erst recht der weltweite Einsatz der Technik. Dies lässt sich nicht ungeschehen machen, aber Wilhelm Schmid stellt sich die Frage, ob der Einsatz der Technik so vorsichtig und zurückhaltend gestaltet werden kann, dass sie in ihren Auswirkungen auf die Natur und den Menschen verträglich ausfällt. Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

Die Technik sollte den Menschen einst von der Natur befreien

Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die Techniken entwickelt, mit denen Menschen in der Lage sind, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu vernichten. Ihr Zweck war die Befreiung von der Natur. Friedrich Nietzsche erkannte früh die möglichen Gefahren: „Hybris ist heute unsere ganze Stellung zur Natur, unsere Naturvergewaltigung mit Hilfe der Maschinen und der so unbedenklichen Techniker- und Ingenieurerfindsamkeit.“ Der Erfolg der modernen Techniken hat eine üble Kehrseite. Denn sie benötigen Energien, ohne die sie nicht gebaut und betrieben werden können.

Die Verbrennung fossiler Stoffe wie Kohle und Erdöl beschleunigen den von Menschen gemachten Klimawandel. Jeder Mensch kann sich selbst um die Aufklärung ökologischer Zusammenhänge bemühen, um auf die Natur Rücksicht zu nehmen. Denn es ist seine eigene Existenz, die mit der Beziehung zur Natur in Frage steht. Wilhelm Schmid erläutert: „Die Lebenskunst, die auf dem Klugheitsgebot beruht, aus eigenem Interesse so umsichtig, rücksichtsvoll, vorsichtig und vorausschauend wie möglich vorzugehen, birgt in sich eine immanente Nachhaltigkeit.“

Die Natur kann der Mensch auf vielfache Art und Weise lieben

Für eine nachhaltige, andere Moderne sind laut Wilhelm Schmid positive, bejahende Beziehungen zur Natur neu zu erproben, in Anlehnung an indianische und andere Kulturen, die bei allem Kampf mit der Natur immer auch an der Liebe zu ihr, der Freundschaft und Kooperation mit ihr festhielten. Die Aufmerksamkeit auf ökologische Zusammenhänge liegt im Eigeninteresse der heutigen und zukünftigen Generationen. Wilhelm Schmid fügt hinzu: „Zum anderen Teil bedarf es einer gefühlten Liebe zur Natur, einer Physiophilie, in der die Gefühle aufleben, die Menschen im Kern berühren.“

Diese Liebe muss sich keine Natur zurechtmachen, wie sie menschlichen Maßstäben entsprechen soll, sondern kann das Gegebene in seiner Eigenart anerkennen. Die Kunst des Lieben in Hinblick auf die Natur kann in vielfacher Weise praktiziert werden: „Als Liebe zur Natur insgesamt oder zu einer bestimmten Natur, zur Sonne, zur frischen Luft, zu Tieren, zu einer Landschaft, zu einem Waldstück, zu einem Hain am Wegrand, zu einem bestimmten Baum, als dessen Freund sich der Mensch fühlen kann, sodass ihm dessen Schicksal nahegeht.“

Von Hans Klumbies