Die Vernunft kennt nicht die Gründe des Herzens

Gefühle verweisen nicht nur auf einschneidende Veränderungen, sie können einen Menschen auch zu ethisch hochstehenden Handlungen motivieren, die jenseits des Horizonts des Verstandes liegen. Blaise Pascal hat das im 17. Jahrhundert auf die berühmte Formel gebracht: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.“ Die Emotionen ermöglichen eine Art von Wirklichkeitserfahrung als es der bewussten Vernunft möglich ist. Ulrich Schnabel erläutert: „Denn das rein analytische Denken bezieht immer nur jene Informationen in sein Kalkül ein, die unserem Bewusstsein zugänglich sind – doch diese liefern lediglich einen begrenzten Ausschnitt der Realität und niemals das vollständige Bild. Die Emotionen sind zwar weniger zielgenau, greifen aber auf ein viel größeres Reservoir an Erfahrung zurück. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Das Gefühl steht oft am Anfang einer Idee

Emotionen beziehen auch alle möglichen un- oder vorbewussten Informationen ein, die von entscheidender Bedeutung sein können. Deshalb verlieben sich Menschen mitunter „auf den ersten Blick“ in jemanden, den sie nicht kennen und von dem sie kaum etwas wissen, von dem sie aber intuitiv spüren, dass sie oder er ihnen emotional nahe ist. Auch bei neuen Projekten oder in kreativen Tätigkeiten folgen Menschen häufig zunächst einer Ahnung oder einem Gespür, und füllen diese Ahnung erst nach und nach mit Fakten und rationalen Argumenten.

Das Gefühl als „Ort einer noch gar nicht praktisch gewordenen Vernunft“ steht zum Beispiel oft am Anfang einer Idee für ein Buch, einen Komposition oder eine neue wissenschaftliche Theorie. Und wenn man sich darauf einlässt und sich von dem Gefühl leiten lässt, kann man häufig die Erfahrung machen, dass sich allmählich auch jene praktischen und vernünftigen Gründe einstellen, die im Nachhinein das Gefühl rechtfertigen. Gerade die größten Geister, die man für ihren scheinbar überlegenen Intellekt bewundert, wissen nur zu gut um dieses fruchtbare Wechselspiel zwischen Emotion und Ratio.

Gefühle sind der erste Verstand eines Kindes

Vor allem in den ersten Lebensjahren sind das Gefühl der Verbundenheit und die richtige „Resonanz“ anderer Menschen essenziell für ein Kind. Dabei ist es für eine „sichere Bindung“ nicht so sehr entscheidend, wie lange sich jeweils die Mütter oder Väter mit ihren Kindern beschäftigen. Wichtig ist vielmehr, ob die Eltern „passend“ auf die kindlichen Bedürfnisse reagieren; ob sie also merken, wenn ihre Kinder Hunger haben, müde sind oder lieber spielen wollen. Ulrich Schnabel erklärt: „Denn erst diese Interaktion versetzt die Kinder in die Lage, ihre emotionalen und kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln.

Je nach Reaktion der Umwelt werden jene emotionalen Muster ausgebildet, die einen Menschen häufig sein Leben lang begleiten. Langzeitstudien zeigen, dass Kinder, die verlässliche Beziehungen erfahren haben, sich im späteren Leben gemeinhin als selbstständiger, ausgeglichener und zufrieden erweisen als Kinder, denen es an solchen Beziehungserfahrungen fehlt. Ulrich Schnabel betont: „Gerade den Emotionen kommt also am Beginn des Lebens eine entscheidende Rolle zu.“ Die Gefühle sind der erste Verstand eines Kindes. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies

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