Der reine Augenblick ist ein abstrakter Traum

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2016 spürt dem Augenblick nach. Der Augenblick – kaum ist er da, ist er auch schon wieder vorbei. Das moderne Leben gleicht einem Wettrennen. Umso größer ist bei vielen Menschen das Verlangen, die Zeit anzuhalten, präsent zu sein, die Welt wieder zu spüren. Kein Wunder, dass buddhistisch inspirierte Achtsamkeitspraktiken derzeit boomen. Meditierend kommt das Selbst zu sich, wird empfänglich für die Schönheit des Hier und Jetzt. Aber Denker wie Augustinus bis Edmund Husserl argumentieren, dass die Erfahrung des reinen Augenblicks für die Menschen eine Illusion bleiben muss. Aber nicht nur philosophisch ist die Sehnsucht nach totaler Präsenz problematisch. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht der neue Achtsamkeitskult ein reaktionäres, gar narzisstisches Moment in sich trägt.

Die Schönheit des Augenblicks liegt in seiner Flüchtigkeit

Worin genau liegt die Schönheit des Augenblicks? Womöglich gerade in seiner Flüchtigkeit, wie der japanische Philosoph Yasuhiko Sugimura erläutert. Der gelungene Augenblick hat Zufälliges, Unverfügbares an sich. Und doch ist er auch das Ergebnis gezielten Tätigseins. Die Eudaimonia, die Glückseligkeit, beschreibt Aristoteles als Ergebnis einer Tätigkeit, die dem wahren Wesen der eigenen Seele entspricht. Dazu gehören Unterscheidungsvermögen ebenso wie beständiges Üben. Man muss sich die Zeit geben, um in den Dingen, die einem entsprechen, zur Meisterschaft zu gelangen.

Der reine Augenblick ist ein abstrakter Traum. Menschen erleben eine Gegenwart, die immer auch Vergangenheit und Zukunft enthält. Warum ist es so schwer, den Augenblick zu erfassen? Eines scheint klar: Je mehr man ihn erwartet, ihn vorbereiten oder sogar gestalten, desto eher ist er unfassbar. Denn der gegenwärtige Augenblick existiert nicht. Er ist zu kurz, um erfasst zu werden. Außerdem kann man jeden Moment in sich unendlich weiter unterteilen, ohne jemals einen festen Punkt zu erreichen.

Ayn Rand verteidigt die individuelle Freiheit und den Kapitalismus

Im Gespräch mit Peter Sloterdijk, einem der einflussreichsten Denker unserer Zeit, behauptet der Philosoph, dass die „Natur im Orgasmus die Augen aufschlägt“. Peter Sloterdijk erklärt: „Wir haben eine sehr tiefgehende Pornografisierung der visuellen Kommunikation zwischen den Geschlechtern erlebt, meistens im Modus einer erotischen Einbahnstraße.“ Gleichzeitig beobachtet er das Heraufkommen einer neopuritanischen Grundstimmung, in der ein Sachverhalt, den man in der älteren Psychiatrie die „Berührungsangst“ genannt hatte, mittlerweile sogar gesetzlich eingefordert wird.

In der Rubrik „Der Klassiker“ stellt das Philosophie Magazin Ayn Rand (1905 – 1982) vor. Die Schriftstellerin und Philosophin ist in den USA eine Kultfigur und ein intellektueller Superstar. Sie gilt als Ikone des Libertarismus. In ihren Romanen und Essays verteidigt sie vehement die individuelle Freiheit und den Kapitalismus und kritisiert staatliches Eingreifen in die Wirtschaft. Ihr Credo: Nieder mit dem Altruismus, es lebe der „rationale Egoismus“, demzufolge man nur für sich selbst lebt. Egoistisch zu sein heißt für sie in erster Linie, zu sich selbst zu stehen. Nicht der Meinung der anderen nachzugeben, nicht hinter ihren Wünschen zurückstecken. Ayn Rand empfiehlt das eigene „Ego“ zu pflegen und seine gesamten intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten zu entwickeln.

Von Hans Klumbies