Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2018 beschäftigt sich mit der Frage: „Wo ist das Kind, das ich war?“ Während die einen die Infantilisierung der Gesellschaft beklagen, fordern andere eine heilende Rückkehr zum inneren Kind. Ist der Weg ins Leben eines Erwachsenen notwendig der einer Desillusion und Selbstentfremdung? Und was könnte es überhaupt heißen: erwachsen sein? Das sind Fragen, mit denen sich jeder Mensch auseinandersetzen sollte, meint zumindest der scheidende Chefredakteur Wolfram Eilenberger. Den Chefposten auf der Kommandobrücke des Philosophie Magazins bekleidet in Zukunft die bekannte Philosophin Svenja Flaßpöhler. Walter Benjamin und Ludwig Wittgenstein betrachten in ihrer Kindheitsphilosophie das sprechende Kind als ein Wesen, das potentiell mündig ist, hingegen durch verfehlte Begriffsverwendungen und Erklärungen der Erziehenden ebenso desillusioniert und selbstentfernt zu werden droht wie die faktische Mehrheit der Erwachsenenwelt.
Ohne Roboter wird die Menschheit in Zukunft nicht mehr auskommen
Die Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, warnt davor, die Kindheit zu verklären. Denn diese Versuchung ist groß, denn es gilt nicht nur in der Werbung, sondern auch in Filmen oder Ratgebern als großes Glücksversprechen, das „innere Kind“ in sich selbst zu entdecken. Doch für Susan Neiman liegt darin auch eine gefährliche Nostalgie. Eines ihrer Argumente ist, dass auch das Erwachsensein wundervoll sein kann, weshalb sie das negative Bild, das viele Menschen von ihm haben, rehabilitieren will. Erwachsenwerden heißt ihrer Meinung nach nicht, sich resignierend zurückzulehnen und alle Träume und Hoffnungen aufzugeben. Ganz im Gegenteil.
Es wird von vielen Menschen befürchtet, dass die Maschinen kurz davor stünden, die Herrschaft über die Menschen zu erringen. Dabei ist das Gegenteil der Fall, wie der Philosoph Michel Serres, einer der einflussreichsten Denker Europas, erklärt. Die leistungsfähigen digitalen Werkzeuge, die dem Menschen heutzutage zur Verfügung stehen, werden ihn nicht unterjochen, solange er weiß, wie man sich ihrer zu bedienen hat. Für Michel Serres steht fest: „Wir werden ohne die Genauigkeit und Leistungsfähigkeit der Maschine in Zukunft nicht mehr auskommen.“
Kultur mutiert und wandelt sich ständig
Für „Das Gespräch“ hat das Philosophie Magazin diesmal den türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk ausgewählt, der erzählt, welche Philosophen sein Schreiben prägten, was ihn an der heutigen Türkei ängstigt und warum er trotzdem stolz auf seine Heimat ist. Dennoch warnt er: „Für ein Land ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Zukunft. Daher bedarf es einer Ethik des Widerstands.“ Eine wesentliche Rolle in seinem Werk spielt die Liebe, die er allerdings nicht definieren kann: „Ich kann Liebesgeschichten schreiben, ich kann Figuren beschreiben, die von der Liebe ergriffen sind, aber wer kann wirklich wissen, was der Sinn der Liebe ist.“
Als Buch des Monats hat das Philosophie Magazin „Es gibt keine kulturelle Identität“ von François Jullien ausgewählt. Seiner Meinung nach ist die kulturelle Identität zu einem Kampfbegriff geworden, der dringend ersetzt werden muss. Denn Kultur, wie François Jullien sie versteht, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie beständig mutiert und sich wandelt. Die Beschwörung der kulturellen Identität ist leider keineswegs nur mehr ein Alleinstellungsmerkmal von Populisten. Überall dort, wo man sich von der Globalisierung überfordert fühlt, wo man sich gegen Diskriminierung und Vereinnahmung durch eine tatsächliche oder gefühlte Übermacht zur Wehr setzt, taucht diese Formel auf.
Von Hans Klumbies