Konrad Paul Liessmann behauptet in seiner Streitschrift „Geisterstunde“, dass niemand mehr weiß, was Bildung ist, aber alle ihre Reform fordern. Was sich aktuell in Klassenzimmern und Unihörsälen, in Seminarräumen und Redaktionsstuben vollzieht, unterzieht Konrad Paul Liessmann einer scharfen und pointierten Kritik. Trotz seines Tadels verfolgt der Autor aber ein ernstes Anliegen: der Bildung und dem Wissen wieder eine Chance zu geben. Gleich in seinem Vorwort erklärt Konrad Paul Liessmann warum Bildung nicht glücklich macht. Dazu wählt er drei Varianten von Bildung aus und fragt nach deren Glückspotential. Schon Friedrich Nietzsche schrieb: „Der Gebildete entwickelt einen veritablen Ekel vor den Falschheiten dieser Welt.“ Glück sieht anders aus als täglich vom Ekel geschüttelt zu werden. Konrad Paul Liessmann ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Wien, Essayist und Publizist.
Bildung wird heute in der Form der Abrichtung und Anpassung vermittelt
Konrad Paul Liessmann gibt zwar zu, dass ein eine Verbindung von Glück und Bildung gibt, aber die sei in unserer Zeit allen, ohne Ausnahme verwehrt. Der Autor kritisiert: „Das aktuelle Glücksversprechen ist ein falsches, weil es dabei weder um Bildung noch um Glück geht. Es geht, wenn überhaupt, um Abrichtung, Anpassung und Zufriedenheit durch Konsum.“ Die Streitschrift „Geisterstunde“ befasst sich mit einer Praxis der Unbildung, ihren Erscheinungsformen und Tendenzen, ihrer Ideologie und Verblendung, ihren Wortführern und Propagandisten, ihren Exzessen und Absurditäten.
Gleich im ersten Kapitel „Pisa, Panik und Bologna“ beschreibt Konrad Paul Liessmann die Logik von Bildungskatastrophen. Pisa kann seiner Meinung nach mittlerweile als Symptom für die Absurdität gewertet werden, die das Bildungssystem erfasst hat. Die Ergebnisse stehen schon rein statistisch gesehen auf ganz schwachen Beinen: Deutschland hat beispielsweise fast zehn Millionen Schüler, doch nicht einmal 5.000 unterziehen sich dem Pisa-Test. Worum es bei Pisa und anderen Tests geht, ist die Konstruktion von Bildungskatastrophen. Denn diese stellen laut Konrad Paul Liessmann die Manövriermasse dar, mit der Bildungsreformen aller Art durchgesetzt werden können.
Das Nützliche ist der große Feind der Musen
Konrad Paul Liessmann zeigt auf, wie sich viele Mängel im Bildungssystem ganz einfach beheben ließen: „Alle, die an Bildung interessiert sind, müssten sich darüber verständigen, was Heranwachsende können und wissen sollten, um ihre Welt und ihre Situation in dieser zu verstehen.“ Auch das Internet bekommt in der Streitschrift „Geisterstunde“ sein Fett weg: „In der gläubigen Hingabe an das Netz zeigt sich die Praxis der Unbildung in ihrer religiösen Form.“ Denn das Internet ist so wenig eine Universität wie das Leben eine Schule.
Im letzten Kapitel „Die Tränen der Muße“ beschreibt Konrad Paul Liessmann die Schönheit des scheinbar Nutzlosen. Die Musen haben einen Feind, dem sie nicht gewachsen sind: das Nützliche. Denn das Handeln und Denken der Gegenwart orientiert sich an einem einzigen Parameter – dem Wirtschaftswachstum. Konrad Paul Liessmann fügt hinzu: „Daran wird nicht nur der Erfolg von Gesellschaften gemessen, danach richten sich auch die Investitionen im Bildungsbereich.“ Der Mut, die Großzügigkeit, die Souveränität und die Humanität einer Gesellschaft lassen sich seiner Meinung nach aber nur daran ablesen, welchen Stellenwert sie den Musen in ihrem Bildungssystem noch einräumt.
Geisterstunde
Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift
Konrad Paul Liessmann
Verlag: Zsolnay
Gebundene Ausgabe: 191 Seiten, Auflage: 2014
ISBN: 978-3-552-05700-5, 17,90 Euro
Von Hans Klumbies