Ständiges Wachstum macht die Menschen nicht zufriedener

Gerhard Schick stellt sich die Frage, ob die Menschen nicht immer mehr eingespannt sind in ein Hamsterrad wirtschaftlicher Entwicklung, das zwar mehr produziert, aber den Wohlstand des Einzelnen nicht mehrt, ihn nicht glücklicher macht, sondern ihm sogar schadet. In den letzten Jahrzehnten wurde den Menschen immer wieder eingebläut: „Wachstum schafft Wohlstand.“ Die meisten Deutschen konzentrieren sich voll auf Wachstum, Wachstum und noch einmal Wachstum und erheben damit ein Mittel zum Zweck. Gerhard Schick kritisiert: „Unsere Gesellschaft hat sich die Debatte über das „gute Leben“, die so alt ist wie die menschliche Philosophie, abgewöhnt. Diese Debatte schien irgendwann entbehrlich zu sein, weil bei wachsendem Wohlstand jeder auf seine Façon glücklicher werden kann.“ Der grüne Politiker Gerhard Schick zählt zu den versiertesten Ökonomen im Deutschen Bundestag.

Viele Menschen haben die Ökonomie zum Fetisch erklärt

Der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček schreibt: „Wir haben die Ökonomie zum Fetisch erklärt, sind süchtig nach künstlichem Wachstum durch Defizite, ohne die wir glauben zusammenzubrechen.“ Ähnlich wie das Essen von Junk Food macht das Wachstum die Menschen nicht zufriedener, sondern ruft nach mehr. Gerhard Schick fügt hinzu: „Obwohl wir viele Ressourcen verbrauchen, werden wir offenbar nicht wirklich glücklicher dadurch, denn es gibt einfach verschiedene Aspekte, die menschliches Glück ausmachen.

Manche Dinge, die glücklich machen, sind am Markt verfügbar und können bei steigendem Wohlstand in größerer Menge gekauft werden. Dann nimmt damit auch die subjektive Zufriedenheit zu. Andere hingegen, wie der Zusammenhalt in der Familie oder im Freundeskreis oder der Zustand der Umwelt in Bezug auf die Qualität von Luft, Boden und Wasser sowie die Verfügbarkeit von freier Zeit und ähnliches, stehen laut Gerhard Schick in einem weniger klaren Zusammenhang mit dem Wachstum des durchschnittlichen Einkommens.

Wachstum bedeutet nicht immer eine Verbesserung der Lebensqualität

Gerhard Schick erklärt: „Eine Gesellschaft mit höherem Einkommen kann sich den Erhalt der Umwelt und mehr Freizeit vielleicht leisten, erwirtschaftet die höheren Einkommen aber vielleicht gerade so, dass die Umwelt dabei kaputtgeht und das Arbeitsleben eher mehr Stress produziert.“ Für Tim Jackson, Umweltökonom und Autor des einflussreichen Buches „Wohlstand ohne Wachstum“ bringt Wachstum nur bis zu einem bestimmten Einkommensniveau Wohlstand hervor.

Irgendwann bedeutet zusätzliches Wachstum nicht mehr eine Verbesserung der Lebenssituation. Diese Grenze liegt laut Tim Jackson bereite bei einem Jahreseinkommen von rund 15.000 US-Dollar. Das ist also etwas weniger als die Hälfte der 34.603 US-Dollar, die die Menschen heute in Deutschland pro Kopf im Durchschnitt erwirtschaften. Ähnliche Zusammenhänge meldet die sogenannte Glücksforschung. In Deutschland steht zum Beispiel einem zwischen 1973 und 2003 um 60 Prozent gestiegenen Bruttosozialprodukt ein um zehn Prozent gesunkenes individuelles Glücksniveau gegenüber. Dieses Phänomen bezeichnet man als Glücksparadox.

Von Hans Klumbies