Kurt Tucholsky tritt für ein vereinigtes Europa ein (7. Teil)

Am 26. Juli 1924 kommt Kurt Tucholsky für kurze Zeit nach Berlin zurück, um bei der Vorbereitung der Zeitschrift „Uhu“ mitzuhelfen und um Mary Gerold zu heiraten. Mitte September des gleichen Jahres kehrt Kurt Tucholsky in seiner Pariser Wohnung zurück. Als Auslandskorrespondent verfasst er rund 200 Texte pro Jahr. Im Spätsommer 1925 unternimmt das Ehepaar eine zweimonatige Reise in die Pyrenäen. Am 1. Mai 1925 ziehen die Tucholskys von Paris nach Le Vésinet, im Oktober 1926 mieten sie in Fontainebleau eine Wohnung. Im Jahr 1926 beginnt Kurt Tucholsky auch wieder zu reisen. Rund vier Monate war er unterwegs und besuchte dabei Städte wie München, Wien, Berlin und Garmisch-Partenkirchen. Kurt Tucholsky hat inzwischen auch bemerkt, dass selbst Paris nicht unbedingt das Paradies auf Erden war.

Kurt Tucholsky hält die Bürokratie für wahnsinnig und übergeschnappt

Kurt Tucholsky gehört zu den frühen Vorkämpfern der Vereinigten Staaten von Europa. Er spricht gerne vom Haus Europa, einem Europa ohne Grenzen und schreibt bereits im Jahr 1926: „Es ist nicht wahr, dass man sich nicht in die Innenpolitik fremder Staaten mischen dürfe – eine Innenpolitik ohne Rückwirkung nach außen gibt es heute nicht mehr, wenn es sie je gegeben hat. […] Wir wohnen nicht mehr in einzelnen Festungen des Mittelalters, wir wohnen in einem Haus. Und dieses Haus heißt Europa.

Immer wieder wirbt Kurt Tucholsky auf für die deutsch-französische Verständigung, die gleichzeitig der Motor einer europäischen Vereinigung sein könne und Vorbedingung der Genesung des kranken Europa sei. In Staat und Politik setzt er allerdings nur bedingt Hoffnung, da der Wahnsinn einer übergeschnappten Bürokratie, die, um sich zu erhalten, längst Selbstzweck geworden ist. Diese ersänne weiterhin Grenz- und Zoll-Schikanen und ließe sich allerlei willkürliche Maßnahmen gegen Fremde und die eigenen Bürger einfallen.

Der Tod Siegfried Jacobsohns trifft Kurt Tucholsky hart

Auch in die offizielle Friedenspolitik, die 1925/26 mit dem Vertrag von Locarno und der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund einen wichtigen Schritt vorangekommen war, setzt Kurt Tucholsky nur wenig Hoffnung, da er den handelnden Politikern nicht traut. Massenbeeinflussung und Massenaufklärung gehören jetzt zu seinen Hauptzielen. Kurt Tucholsky vertritt die Ansicht, dass nur ein von den Menschen gewolltes und akzeptiertes Europa des gegenseitigen Vertrauens und der offenen Grenzen die Gefahr von Kriegen und Machtspielen bannen könne.

Am 3. Dezember 1926 stirbt völlig überraschend Siegfried Jacobsohn. Der Tod seines väterlichen Mentors, Lehrmeisters und Freundes trifft Kurt Tucholsky tief. Auf Bitten der Witwe und zahlreicher Autoren über nimmt er sofort nach Jacobsohns Tod die Leitung der „Weltbühne“, fühlt sich in dieser Position aber mehr als unbehaglich. Dennoch kämpft der promovierte Jurist mit eindringlichen, bedrückenden Texten für eine Verbesserung des Strafvollzugs und prangert die Inhumanität der Todesstrafe an. Quelle: Kurt Tucholsky von Michael Hepp

Von Hans Klumbies