Die Systeme des Empirismus und des Rationalismus

Die englische und französische Philosophie der Aufklärung war laut Herbert Schnädelbach, der vor seiner Emeritierung Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin war, wesentlich durch den Empirismus geprägt, das heißt durch die Überzeugung, dass ausschließlich unsere sinnliche Erfahrung die Grundlage und den Inhalt des Wissens bereitstellt. Herbert Schnädelbach fügt hinzu: „Dies richtete sich gegen den Rationalismus der Cartesianer, die in den erfahrungsabhängigen, „eingeborenen“ Vorstellungen der Vernunft das Fundament aufzufinden meinten, auf dem man ein System des Wissens nach dem Vorbild der euklidischen Geometrie aufbauen könne.“ Dass dieses Vorhaben auf empirischer Basis nicht umsetzbar war, darin stimmten Rationalisten und Empiristen überein.

Die Rationalisten verwenden die Bausteine der reinen Vernunft

Die Vertreter des Empirismus meinten jedoch, man könne die Kenntnisse, die man von der Beobachtung von Phänomenen gewinnen kann, durchaus als Wissen bezeichnen dürfe. Denn schließlich stamme doch die gesamte Kenntnis der Welt und vom Menschen selbst daher. Herbert Schnädelbach ergänzt: „Nicht alles freilich, was wir aus Erfahrung kennen, kann schon als wissenschaftliches Wissen gelten; diese Auffassung vertraten auch die Empiristen, und sie folgten darin der wichtigen Unterscheidung zwischen der „experientia vaga“ und der „experientia ordinata“ durch den Vater des Empirismus, Francis Bacon.

Laut Francis Bacon macht nicht die unbestimmte und zufällige, sondern allein die methodisch gewonnene und logisch geordnete Erfahrung Wissenschaft möglich. Herbert Schnädelbach stellt fest: „In der Wissenschaft muss man systematisch, nach vernünftig begründbaren Methoden vorgehen, und dies gilt nicht nur für die Tatsachenfeststellungen, sondern auch für deren Systematisierung durch kontrollierte Verallgemeinerung.“ Die rationalistischen Systemarchitekten wollten dagegen mit Bausteinen der reinen Vernunft auskommen und auf dieser Basis ein metaphysisches Gesamtbild der Wirklichkeit entwerfen.

Das Neue wird zum primären Ziel des Interesses

Im 18. Jahrhundert gewinnt in der Philosophie gemäß Herbert Schnädelbach das empiristische Wissenschaftsverständnis die Oberhand. Dabei ein System des Wissens zu konstruieren, gilt zu dieser Zeit nur noch als sekundäres Ziel. Herbert Schnädelbach erläutert: „Am Anfang der Erkenntnis stehen demnach nicht mehr abstrakte Prinzipien, die man angeblich durch bloßes Denken ermitteln kann, sondern die nach wissenschaftlichen Methoden gewonnenen Beobachtungen und experimentelle Ergebnisse, deren Systematisierung in einer Theorie stets vorläufig bleiben muss, weil uns die Erfahrung immer neue Erkenntnisse zu erschließen vermag.“

Dieses Neue ist jetzt das primäre Ziel des Interesses, und nicht mehr der vermeintlich sichere Besitz von Wissen in abgeschlossenen Systemen. Für den Empirismus ist die Wissenschaft gemäß Herbert Schnädelbach wesentlich Forschung, und deren Wissenschaftlichkeit wird normiert und garantiert durch Methoden, die empirische Ergebnisse der Forschung intersubjektiv überprüfbar machen. Herbert Schädelbach ergänzt: „Die Wissenschaftlichkeit des Wissens beginnt somit nicht erst auf der Systemebene, wie es die Cartesianer bis zu Hegel vertreten, sondern es gilt das Umgekehrte: Nicht die Systeme bestimmen, was als wissenschaftliche Empirie gelten kann, vielmehr legt die methodisch organisierte empirische Forschung fest, was als wissenschaftliche Systematisierung des Wissens akzeptabel ist.“

Von Hans Klumbies