Das „Handbuch Europäische Aufklärung“ ist das erste deutschsprachige Werk, das dieser Epoche gewidmet ist. Die überwiegend deutschen Autoren der einzelnen Artikel, durchwegs Spezialisten für ihren Gegenstand, haben immer ihr Augenmerk auf die drei Hauptländer England, Frankreich und Deutschland gelegt, um von vornherein auf die europäische Dimension der Aufklärung aufmerksam zu machen. In ihren Beiträgen prüfen sie ferner die Hypothese von der Fähigkeit der Aufklärung zu ihrer Selbstaufklärung sowie den Funktionswandel ihrer Themen und Zukunftsvorstellungen. In der Regel bleibt die Wirkmacht einer Epoche spürbar, die vor rund 350 Jahren eine neue soziale, politische und geistige Formation großen Anspruchs ins Werk setzte. Den Abschluss der einzelnen Beiträge bilden jeweils Bibliographien zu den Quellen und zur Forschung. Diese sind mit der Argumentation der Darlegung verknüpft. Prof. Dr. Heinz Thoma war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2010 lehrte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg französische und italienische Literaturwissenschaft.
Die Zeit der Aufklärung dauert von circa 1650 bis 1800
In fünfzig Artikeln von Adel bis Zensur über Anthropologie, Aufklärung, Ethik/Moral, Freiheit/Gleichheit, Toleranz und Vernunft werden Schlüsselbegriffe und zentrale Themen des Aufklärungszeitalters abgehandelt. Der fachliche Zugang aus insgesamt vierzehn Wissenschaftsdisziplinen verbindet sich mit dem Sinn für interdisziplinäre Zusammenhänge. Die jeweiligen Artikel präsentieren die Vorgeschichte ihres Gegenstands, erklären seine Grundzüge und seine Entwicklung im Zeitraum von 1650 bis 1800 in europäischer Dimension.
Zudem untersuchen die Autoren den Rezeptions- und Wirkungszusammenhang ihres Gegenstands im 19. Und 20. Jahrhundert. Dies geschieht in der Perspektive einer Bilanzierung von Bedeutungsverlust und bleibender Geltung. Auf 56 Seiten erläutern verschiedene Wissenschaftler die Epoche der Aufklärung und welche Formen sie in verschiedenen Ländern wie England und Schottland, Frankreich und Italien, in Holland und in Polen, in Russland, der Schweiz und Spanien, und im Judentum angenommen hat.
Frankreich übernimmt im 18. Jahrhundert die Führungsrolle
Im aufgeklärten Zeitalter rückt in den Mittelpunkt des Geschehens an die Stelle von Gott, Herrschern und Weltreichen als Universal jetzt der Mensch beziehungsweise die Menschheit. In den Grundfragen um Grad und Ausdehnung der Aufklärung wie in den Debatten um politische oder auch soziale Gleichheit profiliert sich ein später liberal genanntes Bürgertum heraus. Es trägt die schließliche Neuordnung der Gesellschaft nach Funktionalität und Prinzipien des freien Marktes. Leibeigenschaft und Sklaverei sollen dabei keinen Bestand mehr haben.
In religiösen Fragen hat das Prinzip der Toleranz zu gelten. Radikalere Sichtweisen hingegen stellen laut Heinz Thoma einen konsequenten Egalitarismus in den Mittelpunkt, plädieren für die politische Form der Republik, einige auch für eine zivilreligiöse Kulturalität. Beiden Anschauungen sind ein wie selbstverständlicher Eurozentrismus gemeinsam. Die Verbreitung der Aufklärungsideen beschränkte sich zu Beginn auf die Eliten und deren kulturelle Formen. Heinz Thoma ergänzt: „Auf dem Kontinent übernimmt im 18. Jahrhundert Frankreich die durch Hof und Salon genährte und sich auf die Diplomatie erstreckende Führungsrolle.“
Handbuch Europäische Aufklärung
Begriffe, Konzepte, Wirkung
Heinz Thoma (Hrsg.)
Verlag: J. B. Metzler
Gebundene Ausgabe: 608 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-476-02054-3, 79,95 Euro
Von Hans Klumbies