Die Vorzugsbehandlung der Familie und von Freunden mag als moralisches Problem erscheinen, sofern man eine utilitaristische Perspektive einnimmt, die besagt, dass die Interessen eines jeden Menschen gleich behandelt werden sollen, und das es jedermanns Plicht sei, die Welt zu verbessern, wann immer man sie auf welche Art auch immer optimieren kann. Doch Julian Baggini weist noch auf andere Denkweisen hin, die Moralität nicht als eine Pflicht betrachten, das Wohlergehen aller zu maximieren. Der Philosoph Julian Baggini ist 1968 in Dover, Kent geboren. Er ist Mitbegründer und Herausgeber des „Philosopher´s Magazine“. Er schreibt regelmäßig für große Zeitungen und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Eines seiner Bücher trägt den Titel „Der Sinn des Lebens“ und ist 2005 im Piper Verlag erschienen. Sein neuestes Werk trägt den Titel „Ethik“ und ist im Verlag Springer Spektrum veröffentlicht worden.
Glück und Wohlergehen stehen bei Utilitarismus im Vordergrund
Wenn die Menschen unter Moral etwas verstehen, das aus einer natürlichen Zuneigung für andere, aus der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit oder auch aus dem Zusammenspiel aus beiden entspringt, dann scheint es für Julian Baggini sehr viel verständlicher, dass die menschliche Zuneigung und Bereitschaft zu kooperieren, bei all jenen, mit denen Menschen enger verbunden sind, stärker sein wird und sein sollte. Dennoch findet sich in fast jedem Moralsystem das Grundprinzip, wonach die Bedeutung eines jeden Menschen gleichermaßen zählen sollte.
Die Moralphilosophie, die in Bezug auf die Vorzugsbehandlung einiger Personen gegenüber anderen die meisten problematischen Elemente aufzeigt, ist laut Julian Baggini der Utilitarismus, der in seinem Kern besagt, dass diejenige Handlung richtig ist, die in einer gegebenen Situation den größten Nutzen für die größte Anzahl an Menschen hervorbringt. Julian Baggini ergänzt: „Der Kerngedanke des Utilitaritätsprinzips findet sich in abgewandelter und erweiterter Form in vielerlei Varianten, die aber weitgehend darüber übereinstimmen, dass Glück, Wohlergehen oder die Erfüllung von Wünschen und Vorlieben im Vordergrund stehen.“
Selbstaufopferungsvolles Verhalten ist in der Regel nicht zu erwarten
In Situationen, in denen Entscheidungen gefällt werden müssen, so das Prinzip des Utilitarismus, verlangt es die Moralität, dass die Menschen grundsätzlich gleichberechtigt sind. Jeremy Bentham formuliert diesen Gedanken wie folgt: „Jeder zählt für einen, keiner für mehr als einer.“ Das bedeutet, dass die Menschen die Interessen der anderen den eigenen Interessen gleichsetzen und entsprechend handeln sollen. Jesus gibt die Richtung im Lukasevangelium vor: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.“
Die allgemeine Reaktion auf diese Argumentation geht in der Regel dahin zu sagen, dass sie falsch sein müsse, weil sie den Menschen zu viel abverlangt. Auch Julian Baggini stellt die Frage, ob man in vernünftiger Weise ein derart selbstaufopferungsvolles Verhalten erwarten darf. Seine Antwort lautet: „Wir können es eben nicht. Es könnte nämlich der Fall sein, dass jeder von uns weit hinter dem zurückbleibt, was die Moral von uns verlangt – ein Muster, das sich durch die ganze Menschheitsgeschichte zieht: Ganze Gesellschaften haben darin versagt, die Rechte der Frau zu achten, Menschen unterschiedlicher Hautfarbe gleich zu behandeln, haben vom Reichtum gezehrt, den Sklaven erarbeitet haben, und es gäbe der Beispiele viele mehr.“
Von Hans Klumbies