Andreas Reckwitz entwickelt in seinem neuen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ eine Theorie der Moderne, die eine spätmoderne Gesellschaft in all ihren Facetten beschreibt, in der das Singuläre überall die Herrschaft übernommen hat. Ein Mensch mit einer Normalbiografie mit seinem Durchschnittsleben ist im Ansehen seiner Mitmenschen ganz unten angesiedelt. An der Spitze der Gesellschaftspyramide stehen authentische Subjekte mit originellen Interessen und ungewöhnlicher Biografie. Nur noch das Besondere zählt, das Normale ist völlig out. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Guter und Events, die unverwechselbar sein müssen. Selbst Communities und Städte sind diesem scheinbar allesumfassenden Trend unterworfen. Die Gesellschaft der Singularitäten zeichnet sich nicht nur durch seine Dynamik und seinen durch nichts zu erschütternden Fortschrittsglauben aus. Sie hat auch ihre Schattenseiten, indem sie ihre ganz eigenen Ungleichheiten, Paradoxien und Verlierer produziert. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.
Die Industriegesellschaft verwandelt sich in eine Ökonomie der Singularitäten
Andreas Reckwitz behandelt die klassischen Fragestellungen der soziologischen Gesellschaftstheorie – Arbeit, Technik, Klasse, Politik – unter dem Aspekt, welche Transformation hin zu einer Gesellschaft der Singularitäten in diesen Feldern stattfindet. Im ersten Kapitel beginnt der Autor mit grundsätzlichen theoretischen Klärungen dessen, was unter einer sozialen Logik der Singularitäten im Unterschied zu einer sozialen Logik des Allgmeinen zu verstehen ist und wie sie mit Kultur, Kulturalisierung und Valorisierung zusammenhängt.
Im zweiten Kapitel stellt Andreas Reckwitz den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Ökonomie der Singularitäten und ihrem Kulturkapitalismus dar. Kapitel drei behandelt die Transformation der Arbeitswelt und zeigt, wie hier singularistische Kriterien wie Kreativität, Talent, Profil und Performance mit ihren Licht- und Schattenseiten prägend werden. Kapitel vier widmet sich der Schlüsseltechnologie der Spätmoderne, dem Komplex von Algorithmen, Digitalität und dem Internet, und untersucht, wie dieser sowohl eine kulturelle als auch maschinelle Singularisierung betreibt.
Die akademisch ausgebildete Mittelklasse favorisiert den singularistischen Lebensstil
Nachdem Andreas Reckwitz die ökonomisch-technischen Grundlagen der Gesellschaft der Singularitäten dargelegt hat, fragt er im folgenden Abschnitt, wie sie sich auf die Lebensstile un die Sozialstruktur auswirken: „Es stellt sich heraus, dass die widersprüchliche Grundformel eines singularistischen Lebensstils jene der „erfolgreichen Selbstverwirklichung“ und seine wichtigste Trägergruppe die neue, akademisch ausgebildete Mittelklasse ist.“ Als zentral für die Struktur der Spätmoderne erweist sich die nicht nur soziale, sondern auch kulturelle Polarisierung zwischen dieser neuen Mittelklasse und einer neuen Unterklasse, insgesamt die Kulturalisierung der Ungleichheit.
Im sechsten Kapitel erklärt der Autor die Singularisierung und Kulturalisierung des Politischen – also der Politik des Besonderen. Sichtbar wird so für die Spätmoderne charakteristischer politischer Antagonismus zwischen liberaler Hyperkultur und einem kommunaristischen Kulturessenzialismus diverser Art. Am Schluss seines Buchs „Die Gesellschaft der Singularitäten“ beantwortet Andreas Reckwitz im Sinne eines Ausblicks jene gesellschaftlich-politische Frage, die eine Gesellschaft der Singularitäten aufwirft: Gibt es eine Krise des Allgemeinen?
Die Gesellschaft der Singularitäten
Zum Strukturwandel der Moderne
Andreas Reckwitz
Verlag: Suhrkamp
Gebundene Ausgabe: 480 Seiten, Auflage 5: 2018
ISBN: 978-3-518-58706-5, 28,00 Euro
Von Hans Klumbies