Emile Durkheim untersucht die moralische Wirklichkeit

Emile Durkheim vertritt die These, dass die moralische Wirklichkeit wie jede Art der Wirklichkeit von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus untersucht werden kann. Der Mensch kann sie erkennen und verstehen wollen oder sich vornehmen, sie zu beurteilen. Um die moralische Wirklichkeit untersuchen zu können, ist es für ihn unerlässlich, vorher zu bestimmen, woraus sie besteht und was sie charakterisiert. Zu den Hauptmerkmalen der moralischen Tatsachen zählt Emile Durkheim, dass sich jede Moral darstellt als ein System von Verhaltensregeln. Er ergänzt: „Doch auch alle Techniken werden von Maximen regiert, die dem Handelnden vorschreiben, wie er sich bei bestimmten Gelegenheiten zu verhalten hat. Emile Durkheim, der von 1858 bis 1917 lebte, war seit 1902 Professor der Pädagogik und Soziologie an der Sorbonne.

Der Enthusiasmus einer moralische Handlung erhebt den Menschen über die Natur

Moralische Regeln unterscheiden sich von anderen Regeln dadurch, dass sie mit einer besonderen Autorität ausgestattet sind, kraft derer sie befolgt werden, weil sie gebieten. Allerdings ist es den Menschen unmöglich, eine Handlung nur deshalb zu vollziehen, weil sie geboten ist, ohne dabei Rücksicht auf den Inhalt zu nehmen. Sie müssen in gewissem Maße die menschliche Sensibilität ansprechen und in irgendeiner Hinsicht erstrebenswert erscheinen. Die Pflicht bringt also nur einen der Aspekte, und zwar einen abstrakten Aspekt der Moral zum Ausdruck.

Ein gewisses Erstrebenswertsein ist für Emile Durkheim ein weiteres, nicht minder wesentliches Merkmal der moralischen Wirklichkeit, wobei in diesem Fall auch etwas von der Natur der Pflicht beinhaltet ist. Emile Durkheim schreibt: „Wenn es auch stimmt, dass der Inhalt der Handlung uns anzieht, so liegt es doch im Wesen der Handlung, dass sie nicht ohne Anstrengung, ohne einen Sachzwang ausgeführt werden kann.“ Der Enthusiasmus mit dem ein Mensch moralisch zu handeln vermag, erhebt ihn über die Natur, was aber nicht ohne Mühe und Anstrengung vor sich geht.

Das Gute und die Pflicht sind Bestandteile jeder moralischen Handlung

Emile Durkheim versucht anhand seiner Untersuchungen zu zeigen, dass jede moralische Handlung das Gute und die Pflicht in sich trägt, auch wenn diese Merkmale in wechselndem Verhältnis miteinander verknüpft sein können. Laut Emile Durkheim wurde noch niemals eine Handlung als moralisch bezeichnet, die nur das Interesse des Individuums oder die in rein egoistischer Weise verstandene Vervollkommnung eines Menschen zum Gegenstand hat. Er folgert, dass, wo es eine Moral gibt, diese nur durch eine Pluralität assoziierter Individuen gebildete Gruppe zum Ziel haben kann.

Dafür muss allerdings die Voraussetzung gegeben sein, die Gesellschaft als eine Person betrachten zu können, die sich von den Einzelpersonen, aus denen sie sich zusammensetzt, qualitativ unterscheidet. Emile Durkheim stellt fest: „Die Moral beginnt also dort, wo die Bindung an eine wie immer geartete Gruppe beginnt.“ Denn die Gesellschaft ist für ein Individuum etwas Nützliches und Erstrebenswertes, da es außerhalb ihrer nicht existieren kann. Würde der Mensch die Gesellschaft verneinen, würde es sich gleichzeitig selbst verneinen.

Von Hans Klumbies