Georg Pieper beschreibt die neurotische Gesellschaft

Eine wirklich angstvolle, neurotische Gesellschaft reagiert in akuten Situationen der Bedrohung eher panisch als besonnen. Als Psychologe weiß Georg Pieper, dass ein angstgeprägter Mensch sich schnell angegriffen fühlt und zurückschlägt. Aus psychologischer Sicht ist es seiner Meinung nach nicht auszuschließen, dass eine neurotische, von Angst gelenkte Gesellschaft mit einer entsprechenden politischen Führung aggressiv wird und schlechte Entscheidungen fällt. Die Gesellschaft in Deutschland driftet auseinander, diese beunruhigende und bedrückende Entwicklung verfolgt Georg Pieper schon länger. In den vergangenen Jahren wurde die Kluft zwischen Arm und Reich ständig größer und im sozialen Klima immer deutlicher spürbar. Nun treibt die Angst vor Terror und anderen Unsicherheiten weitere Risse durch die Gesellschaft und ist auf dem besten Wege, sie in unversöhnliche Fraktionen zu spalten. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Menschen haben Angst vor dem Fremden

Georg Pieper erläutert: „Die derzeit größten gesellschaftlichen Konflikte werden von der Angst vor Flüchtlingen, vor Terrorismus und von der Angst vor politischer Radikalisierung und deren Folgen befeuert.“ Als Psychologe sieht Georg Pieper in Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen und auch in der Gewalt gegen Asylunterkünfte eindeutige Reaktionen der Angst. Die Menschen haben Angst vor dem Fremden, und sie haben Angst vor materiellen Verlusten. Besonders wirtschaftlich schlecht gestellte Menschen fürchten angesichts der vielen Flüchtlinge um ihre Existenz.

Sie begreifen Asylsuchende als Konkurrenz im Kampf um die Zuwendungen des Sozialstaats. Je tiefer sich jemand in den sozialen Schichten befindet, desto größer ist seine Angst, etwas zu verlieren. Dabei geht es zum Beispiel um bezahlbaren Wohnraum oder Jobs für unqualifizierte Arbeitskräfte. In den Ängsten der Zukurzgekommenen steckt ein enormes Gefahrenpotential für die Gesellschaft. Bei Menschen, die spüren, dass sie mit ihren Sorgen und Befürchtungen nicht ernst genommen oder akzeptiert werden, besteht die große Gefahr, dass sie abdriften und zu Rassisten werden.

Angst macht die rechten Parteien stark

Im Moment wird die Kluft zwischen den Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren, und denen, die Flüchtlingen ablehnend oder gar feindselig gegenüberstehen, größer und damit für den Zusammenhalt in der Gesellschaft immer gefährdeter. Eine ähnliche Polarisierung lässt sich laut Georg Pieper in der Politik verfolgen: „Das Erstarken der rechten Parteien, die von den Ängsten der Menschen politisch profitieren und diese Ängste gezielt instrumentalisieren, sorgt in vielen europäischen Ländern für Unruhe, Verunsicherung und eine klare Frontenbildung.“

Auch in Deutschland ist dieser Trend zu beobachten. Man kann klar zwei Positionen ausmachen: Die einen verunsichert das von diesen Parteien vertretene nationalkonservative Denken mit seinen klar fremdenfeindlichen, teils undemokratischen und rechtsradikalen Tendenzen. Andere finden, dass Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn es genau richtig machen, und sympathisieren mit den rechten Populisten in Frankreich, Holland, Polen oder Österreich. Ein Teil der Menschen in Deutschland hat sich in den vergangen Jahren politisch stark nach rechts bewegt und vertritt extreme Positionen. Quelle: „Die neuen Ängste“ von Georg Pieper

Von Hans Klumbies