Das moderne Theater hat seinen Besuchern wenig zu sagen

Rüdiger Schaper führt seinen Lesern die Geschichte des Welttheaters als überraschenden Prozess der Verjüngung vor. Als alter Mann wird es um 500 vor Christus in Athen geboren. Sein ganzes Wesen liegt schon in den Dramen von Euripides, Sophokles und Aischylos begründet. Im Laufe der Jahrhunderte verjüngt sich dann das Theater zum verliebten, eroberungslustigen Jugendlichen bei Shakespeare und Molière in der Renaissance. Es entwickelt sich weiter über Strindberg, Tschechow und Heiner Müller bis hin zum sterbenden Kind der Gegenwart. Es stirbt heute viele Tode und wird doch immer wieder neu geboren. „Spektakel“ ist persönlich und subjektiv in der Auswahl. Zugleich ist es eine Standortbestimmung des Theaters der Gegenwart, die mit dem Wunsch verbunden ist, dass es sich auf seine Wurzeln besinnt und sich dabei immer wieder verjüngt. Rüdiger Schaper leitet das Kulturressort des „Tagesspiegel“. Zuletzt ist von ihm das Buch „Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch“ (2012) erschienen.

Das Theater der Gegenwart wirft die zerlegten Mythen in die Ecke

Der Blick in die Vergangenheit kann dem Theater Kraft spenden und Perspektiven für die Zukunft eröffnen. Rüdiger Schaper hatte für sein neues Buch „Spektakel“ folgende Grundidee: „Eine kurze Biografie des Theaters, eine Geschichte des Theaters in Biografien, wobei die Zeit rückwärts läuft.“ Dabei lag es auf der Hand, dass dies eine fragmentarische Geschichte sein würde. Aber ein Torso hat seine eigene Vollständigkeit, bei dem das, was fehlt, sich selbst ergänzt, wie der Schatten. Mythen gleichen vorausschauenden Erinnerungen. Aber mit diesen ersten und letzten Dingen tritt das moderne Theater kaum mehr in Kontakt.

Das Theater der Gegenwart spielt nur mit den Mythen – nimmt sie auseinander und wirft sie in die Ecke. Rüdiger Schaper fügt hinzu: „Es weiß sehr viel, verfügt über schier unbegrenzte technische Möglichkeiten und hat wenig zu sagen. Die alten Geschichten sind erzählt, so scheint es, oder sie werden mit einer Sichtweise erzählt, dass sie nur noch alt wirken, oder auf billige Art und Weise neu.“ In den Staatstheatern und auf Festivals, bis in die Freie Szene hinein, dominiert seiner Meinung nach das kleine Format, generell das Denken und Arbeiten in Formaten.

In den aktuellen Theaterstücken kommt kaum etwas Dramatisches vor
Laut Rüdiger Schaper geht die Verkürzung mit einer Vereinfachung und Verflachung der Theaterstoffe einher. Im Sinne der Computertechnologie wird der Text handlich und speicherfähig gemacht. Bei Rüdiger Schaper ist inzwischen ein Grundvertrauen verloren gegangen: „Dass die Leute vom Theater wissen, was sie tun, warum sie es tun. Dass der Zuschauer weiß, warum er zuschaut.“ Im Theater der Gegenwart ist das Ziel in der Regel bekannt und benannt – Überraschung in den meisten Fällen ausgeschlossen.

Selbst der Begriff des Publikums befindet sich seiner Meinung nach in Auflösung. Denn der Zuschauer erlebt sich als einzelne Person und nicht mehr als Teil einer Theatergemeinschaft. Zunehmend erinnern die Theaterproduktionen den Autor an Installationen, wobei das Dargestellte kaum noch variiert. Auf der Bühne geht etwas Undramatisches vor, das er eine Weile betrachten möchte, dann aber eigentlich gehen will. Trotz aller Kritik liebt Rüdiger Schaper das Theater und beschließt sein Buch deshalb mit folgenden Worten: „Theater ist gemeinsames Erleben, Theater ist Leben, auch wenn man nur Zuschauer ist und seine Gedanken darüber in Worte zu fassen versucht, mit Freude und Leidenschaft oder unter Schmerzen. Das ist ein großes Privileg.“

Spektakel
Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis Aischylos
Rüdiger Schaper
Verlag: Siedler
Gebundene Ausgabe: 346 Seiten, Auflage: 2014
ISBN: 978-3-8275-0027-4, 24,99 Euro
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Von Hans Klumbies

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