Nur eine politische Union kann den Euro stabilisieren

Für den weltberühmten deutschen Philosophen Jürgen Habermas ist bisher die europäische Einigung von den politischen Eliten mehr oder weniger über die Köpfe ihrer Bevölkerung hinweg betrieben worden. Zunächst waren seiner Meinung nach ja auch nur die Staaten handlungsfähig, obwohl es auf der anderen Seite schon lange ein europäisches Parlament gibt. Jürgen Habermas stellt fest: „Trotzdem haben die politischen Parteien bisher in allen Mitgliedsländern die europäischen Wahlen und Referenden so angelegt, dass die Wähler nur über nationale Fragestellungen und Personen abstimmen konnten. Es hat bisher keine europäische Wahl gegeben, die diesen Namen verdient hätte.“ Jürgen Habermas war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1994 Professor für Philosophie in Frankfurt am Main. Er gilt as bekanntester Vertreter der so genannten „Frankfurter Schule“. Ende 2011 erschien im Suhrkamp Verlag sein Essay „Zur Verfassung Europas“.

Europa braucht eine gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik

Die politischen Parteien drücken sich laut Jürgen Habermas vor Themen, mit denen sie keine Mehrheiten gewinnen können. Das war solange kein Problem, wie in den meisten Mitgliedsländern der Europäischen Union eine passive Zustimmung zu einem Projekt überwog, aus dem alle Profit zogen. Diese Situation hat sich seit dem Ausbruch der Bankenkrise dramatisch verändert. Jürgen Habermas erklärt: „Spätestens seit den Spekulationen der Märkte gegen den Euro und den immer wieder zu spät und zu karg geschnürten Rettungspaketen hat sich die ökonomische Einsicht durchgesetzt, dass die Währungsgemeinschaft ohne politische Union nicht auf Dauer stabilisiert werden kann.“

Jürgen Habermas vertritt die These, dass allein eine gemeinsam Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik die tiefer liegende Ursache der Krise überwinden kann. Der eigentliche Grund für die Krise sind seiner Meinung nach die strukturellen Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften der Eurozone. Jürgen Habermas erläutert: „Das verlangt aber einen weiteren Verzicht auf Souveränitätsrechte und die Bereitschaft der europäischen Völker, kurz- und mittelfristige Effekte der Umverteilung über nationale Grenzen hinweg in Kauf zu nehmen.“

Kerneuropa hat die Grenzen zu einer Haftungsgemeinschaft längst überschritten

Jürgen Habermas kritisiert, dass die Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten nicht auf diesen Schritt vorbereitet worden sind, obwohl alle Regierungen und alle verantwortlichen Politiker längst wissen, dass Kerneuropa die Grenze zu einer Haftungsgemeinschaft längst überschritten hat. Jürgen Habermas ergänzt: „Aber alle schützen den nationalen Egoismus mit ihrem Schweigen, mit unvollständigen Informationen oder gar mit falschen Parolen. Ich fürchte, dass dieser Mangel an Leadership einen sehr hohen Preis kosten wird.“

Das Vertrauen der Bürger zur Europäischen Union lässt sich laut Jürgen Habermas nur durch Offenheit und Risikobereitschaft wieder herstellen. Der Philosoph fordert die angeblich proeuropäischen Parteien dazu auf, für ihre Sache auch gegen demoskopische Mehrheiten zu kämpfen. Jürgen Habermas fügt hinzu: „Dasselbe gilt für die Medien, die in fast allen Ländern der nationalen Politik bloß hinterherlaufen. Die abgeschotteten nationalen Öffentlichkeiten können sich füreinander nur öffnen, wenn die Redaktionen lernen, in ihren Kommentaren und ihren Berichten auch die Perspektiven des jeweils anderen Landes zu berücksichtigen.“

Von Hans Klumbies