Die neuen Menschen sollen perfekte Wesen sein

Das 19. Philosophicum in Lech am Arlberg wagte unter dem Titel „Neue Menschen! Bilden, optimieren, perfektionieren einen kritischen Blick in die Zukunft. Thematisiert und debattiert wurden die neuesten Fortschritte in der Biomedizin und damit verbunden Visionen, aber auch Bedenken und ethische Fragesellungen. Immer mehr Menschen trainieren und modellieren ihren Körper, sorgen für die richtige Ernährung, nehmen leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel zu sich und legen sich eine langfristige Anti-Aging-Strategie zurecht. Kleine Defizite und Verfallserscheinungen werden durch die Schönheitschirurgie, größere durch künstliche Implantate und intelligente Prothesen korrigiert. Im Klappentext des Buches „Neue Menschen!“ heißt es weiter: „Das Hirn wird umfassend gefördert, die Seele wird durch Psychopharmaka von allen Irritationen und durch permanente Kontrolle im Gleichgewicht gehalten. Am Ende solcher Optimierungsprozesse steht die Vision eines perfekten, transhumanen Wesens, das reibungslos funktioniert und dem alles Menschliche fremd geworden ist.“

Den Menschen als Mängelwesen gibt es nicht mehr

Der österreichische Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann schreibt in seinem Beitrag „Neue Menschen!“, dass sich das Bild vom Menschen in der heutigen Zeit grundlegend gewandelt hat. Begriffe wie Exzentrizität oder Mängelwesen haben seiner Meinung nach ihre Plausibilität verloren. Im Grund lässt sich Menschsein nur als offenes Projekt beschreiben. Anstelle vermeintlicher anthropologischer Gewissheiten treten Modelle und Konzepte, die den Menschen immer wieder neu denken. Aktuell wird am Entwurf des perfekten Menschen gearbeitet.

Auch Dr. Thomas Damberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a. M. beschäftigt sich in seinem Beitrag „Bildung versus Perfektion“ mit der Verbesserung des Menschen, die in der Wissenschaft als Human Enhancement bezeichnet wird. Beim Human Enhancement herrscht ein Bild vom Menschen vor, das diesen als ein gestaltbares, formbares und technisch optimierbares Wesen charakterisiert. Thomas Damberger weist allerdings darauf hin, dass die Weiterentwicklung des Individuums schon immer in der Pädagogik präsent war.

Gibt es eine Pflicht zur Verbesserung des Menschen?

Für Dr. Eva Horn, Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Kulturtheorie an der Universität Wien ist die Geschichte der Entwürfe des Neuen Menschen eine Geschichte der Selbstermächtigung. Eva Horn erklärt: „In ihrem Kern geht es um das Projekt der Überschreitung von menschlichen Grenzen: seien es die seiner Bewegung im Raum, die Limitiertheit seiner Lebenszeit oder die Einschränkung seiner Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten.“

Dr. Johann S. Ach, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Geschäftsführer des Centrums für Bioethik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster stellt die Frage, ob es eine Pflicht zur Verbesserung des Menschen gibt. Er zitiert dabei John Stuart Mill, der in einem Essay 1874 schrieb: „Die Pflicht des Menschen bezüglich seiner eigenen Natur ist dieselbe wie seine Pflicht bezüglich der Natur aller übrigen Dinge, nämlich nicht ihr zu folgen, sondern sie zu verbessern.“

Die weiteren Beiträge im Buch „Neue Menschen“ stammen von Dr. Barbara Bleisch, Dr. Sascha Dickel, Prof. Dr. Bernward Gesang, Ulrich Greiner, Prof. Dr. Markus Hengstschläger, Prof. Dr. Karin Harasser, Prof. Dr. Dietmar Mieth, Dr. Claudia Pawlenka und Prof. Dr. Anne Siegetsleitner.

Philosophicum Lech
Neue Menschen!
Bilden, optimieren, perfektionieren
Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Verlag: Zsolnay
Broschierte Ausgabe: 276 Seiten, Auflage: 2016
ISBN: 978-3-552-05772-2, 19,90 Euro

Von Hans Klumbies