Herbert Marcuse erörtert das Verhältnis von Ethik und Revolution

Herbert Marcuse lässt sich von der Frage leiten, ob man eine Revolution als angebracht, vielleicht sogar als notwendig rechtfertigen kann, und zwar nicht nur im politischen Sinne, sondern auch im ethischen. Unter Rechtmäßigkeit versteht Herbert Marcuse etwas, was dazu dient, Freiheit und Glück der Menschen in einem Gemeinwesen, von welcher Form der Regierung auch immer, herzustellen, zu befördern oder zu erweitern. Herbert Marcuse sieht den Zweck einer Regierung darin, nicht nur die größtmögliche Freiheit der Menschen zu garantieren, sondern auch das maximale Glück, das heißt ein Leben ohne Angst und Elend, ein Dasein in Frieden. Denn dass menschliches Glück individuell und Sache selbst sei und bleiben müsse, lässt sich nicht verteidigen, wenn man auch nur einen Augenblick darüber nachdenkt.

Revolutionen sind keine Brüche im historischen Kontinuum

Unter Revolution versteht Herbert Marcuse den Sturz einer rechtmäßig etablierten Regierung und Verfassung durch eine soziale Klasse oder Bewegung, deren Ziel es ist, die gesellschaftliche wie politische Struktur zu verändern. Diese Definition schließt alle militärischen Staatstreiche, Palastrevolutionen und präventive Gegenrevolutionen aus. Eine derartige radikalte und qualitative Änderung der Gesellschaftsstruktur schließt Gewalt mit ein. Hier stellt sich Herbert Marcuse allerdings die Frage, ob sich revolutionäre Gewaltanwendung als Mittel zur Herstellung oder Beförderung menschlicher Freiheit rechtfertigen lässt.

Herbert Marcuse weist darauf hin, dass in der antiken griechischen Philosophie Revolutionen nicht als Brüche im historischen Kontinuum angesehen wurden. Er schreibt: „Platon wie Aristoteles glaubten, dass Revolutionen in die innere Dynamik der Politik eingebaut seien, dass sie zu dem historischen und zugleich natürlichen Kreislauf von Geburt, Wachstum und Verfall der politischen Formen gehörten.“ Eine entgegengesetzte Meinung vertritt Immanuel Kant, der das Recht auf Widerstand ablehnte und Aufruhr gegen die bestehende Regierung verdammte.

Die menschliche Freiheit ist ein historischer Prozess

Die historischen Revolutionen wurden laut Herbert Marcuse gewöhnlich im Namen der Freiheit befürwortet und in Gang gebracht oder im Namen größerer Freiheit für mehr Schichten der Bevölkerung. Die menschliche Freiheit ist für Herbert Marcuse kein statischer Zustand und niemals ein solcher gewesen, sondern ein historischer Prozess, der die radikale Änderung, ja Negation der etablierten Lebensweisen einschließt. Form und Inhalt der Freiheit wechseln seiner Meinung nach mit jeder neuen Entwicklungsstufe der Zivilisation, die in der zunehmenden Machtausübung über Mensch und Natur durch den Menschen besteht.

Eine Ethik der Revolution bezeugt den Zusammenstoß und den Konflikt zweier historischer Rechte: auf der einen Seite das Recht dessen, was ist, das etablierte Gemeinwesen, von dem das Leben und vielleicht auch das Glück der Menschen abhängen. Auf der anderen Seite das Recht dessen, was sein kann und vielleicht auch sein sollte, weil es Schmerz, Not und Ungerechtigkeit verringern kann, wobei allerdings die Voraussetzung besteht, dass diese Chance als eine reale Möglichkeit begründet werden kann. Ein solcher Beweis muss rationale Kriterien liefern.

Kurzbiographie: Herbert Marcuse

Herbert Marcuse wurde am 19. Juli 1898 in Berlin geboren. Im Jahr 1934 emigrierte der Philosoph, Politologe und Soziologe in die USA, wo er bis zu seiner Emeritierung als Professor für Philosophie an der University of California lehrte. Zu seinen bekanntesten Schriften zählen: „Vernunft und Revolution“, „Triebstruktur und Gesellschaft“, Die Gesellschaftslehre des sowjetischen Marxismus“, „Der eindimensionale Mensch“, „Kultur und Gesellschaft I und II“ sowie „Ideen zu einer kritischen Theorie der Gesellschaft“. Herbert Marcuse starb am 29. Juli 1979 in Starnberg.

 Von Hans Klumbies