Jeder Mensch sollte auf einen klugen Umgang mit seinen Gefühlen achten. Man darf sie auf keinen Fall ignorieren, da sie von den tiefen Triebkräften des Lebens erzählen, sollte ihnen aber auch nicht blind vertrauen, weil sie sich nur allzu leicht manipulieren lassen. Wie in vielen anderen Bereichen des Lebens ist auch hier der goldene Mittelweg der richtige. Indem sich ein Mensch der verschiedenen Aspekte seines Gefühlslebens bewusst wird, ist er ihnen schon weniger hilflos ausgesetzt. Und das ist laut Ulrich Schnabel in der hoch technisierten und von den Medien geprägten Gesellschaft von heute wichtiger denn je. Zum einen vermitteln die Gefühle einem Menschen wertvolle Informationen und helfen ihm bei vielen Entscheidungen. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.
Über ihre Emotionen sind Menschen besonders gut ansprechbar
Zum anderen sind Emotionen in der modernen Mediengesellschaft ein umkämpftes Objekt, an dem vielfältige Einflüsse und Interessen zerren. Ulrich Schnabel erklärt: „Wer immer uns ein neues Produkt oder ein Parteiprogramm verkaufen möchte, wer uns für die Mitgliedschaft bei Facebook, für Hilfsaktionen oder den Terrorkampf gewinnen will, spricht primär unsere Gefühle an, appelliert an unseren Wunsch nach Liebe und Zugehörigkeit oder an unsere Angst und Wut.“ Denn auf der emotionalen Ebene sind Menschen besonders ansprechbar und verletzlich, ebenso verführbar wie beeinflussbar.
Die Emotionsforscherin Ute Frevert erläutert: „Das Gefühlsleben ist der letzte dunkle Kontinent, den es noch zu entdecken gibt.“ Kein Mensch kann seine Gefühle einfach an- oder abstellen, keiner kann entscheiden, ob er sie haben will oder nicht. Man kann nur versuchen, sich seinen Gefühlen gegenüber möglichst klug und sinnvoll zu verhalten. Dazu ist es natürlich hilfreich, die Biologie und Psychologie der Gefühle zu verstehen. Ebenso wichtig ist allerdings auch die Betrachtung des gesellschaftlichen Umfelds.
Die Kultur beeinflusst die emotionalen Reaktionen
Denn schon die Kultur, in die ein Individuum hineingeboren wird, beeinflusst seine emotionalen Reaktionen. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Märchen, die wir als Kinder hören, die Werte unserer Freude und Bekannten, Filme, Werbung und Medien prägen unser Gefühlsleben mehr, als wir häufig ahnen. Noch unsere scheinbar individuellsten Emotionen sind eng verwoben mit der jeweiligen Gefühlskultur, in der wir leben.“ Tagtäglich wird der Mensch zwischen der Sehnsucht nach stabilen Beziehungen und dem Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung hin- und hergerissen.
Viele Menschen rennen dem Glück hinterher und fühlen sich dennoch emotional erschöpft. Sie werden längst nicht von sich selbst, sondern von vielen äußeren Faktoren gesteuert. Ulrich Schnabel stellt fest: „Mitunter werden wir von den Emotionen unserer Mitmenschen sogar gegen unseren Willen angsteckt.“ Von emotionaler Ansteckung spricht die Wissenschaft, um ein Phänomen zu beschreiben, das wesentlich für die Faszination gemeinsam erlebter Massenereignisse verantwortlich ist. Bei solchen Gelegenheiten kommt es häufig zu einer automatischen Synchronisation von Gefühlen und Stimmungen, die nach und nach alle Mitglieder einer Gruppe oder Menge infizieren, bis am Ende ein enorm starkes Kollektivgefühl entsteht. Quelle: „Was kostet ein Lächeln“ von Ulrich Schnabel.
Von Hans Klumbies