Theodor W. Adorno reflektiert über die Klassentheorie

Geschichte ist, der Theorie zufolge, eine Aufeinanderfolge von Klassengkämpfen. Laut Theodor W. Adorno ist der Begriff der Klasse mit dem Auftreten des Proletariats verbunden. Noch als revolutionäre Gesellschaftsgruppierung nannte die Bourgeoisie sich den dritten Stand. Theodor W. Adorno fügt hinzu: „In der Ausdehnung des Klassenbegriffs auf die Vorzeit denunziert die Theorie nicht bloß die Bürger, deren Freiheit mit Besitz und Bildung die Tradition des alten Unrecht fortsetzt. Sie wendet sich gegen die Vorzeit selber.“ Der Schein patriarchalischer Gutmütigkeit, den jene seit dem Sieg des unerbittlichen kapitalistischen Kalküls angenommen hat, wird zerstört. Theodor W. Adorno, geboren am 11. September 1903 in Frankfurt am Main, gestorben am 6. August 1969, lehrte in Frankfurt als ordentlicher Professor für Philosophie und Soziologie und war Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität.

Die unversöhnliche Kraft des Negativen setzt die Geschichte in Bewegung

Die Hierarchie in einer Gesellschaft war für Theodor W. Adorno von je her eine Zwangsorganisation zur Aneignung fremder Arbeit. Ein so aufgebauter gesellschaftlicher Organismus ist seiner Meinung nach ein System der Spaltung, das Bild der Stände eine Ideologie, die dem installierten Bürgertum in Gestalt von redlichem Verdienst und treuer Arbeit am besten zustatten kam. In der Geschichte der Klassenkämpfe ist eine Anweisung enthalten, wie die Historie zu erkennen sei. Von der jüngsten Gestalt eines Unrechts fällt Licht stets auf das Ganze.

Die unversöhnliche Kraft des Negativen, die Geschichte in Bewegung setzt, ist die dessen, was Ausbeuter ihren Opfern antun. Theodor W. Adorno erläutert: „Als Fessel von Geschlecht zu Geschlecht verbindet sie wie die Freiheit so Geschichte selber.“ Im Bannkreis des Systems ist das Neue, der Fortschritt, seiner Meinung nach dem Altem gleich als immer neues Unheil. Das Neue erkennen bedeutet nicht, ihm und der Bewegtheit sich einzuschmiegen, sondern ihrer Starrheit widerstehen. Das Neueste gerade, und es stets allein, ist der alte Schrecken.

Big business und Technik hat die Welt und Vorstellung lückenlos besetzt

Die jüngste Phase der Klassengesellschaft wird laut Theodor W. Adorno von den Monopolen beherrscht. Sie drängt zum Faschismus, der ihrer würdigen Form einer politischen Organisation. Sie lässt sogar die Existenz der feindlichen Klassen in Vergessenheit geraten. Solche Vergessenheit hilft den Monopolen mehr als alle Ideologien. Theodor W. Adorno erklärt: „Die totale Organisation der Gesellschaft durchs big business und seine allgegenwärtige Technik hat Welt und Vorstellung so lückenlos besetzt, dass der Gedanke, es könne überhaupt anders sein, zur fast hoffnungslosen Anstrengung geworden ist.“

Die Nivellierung der Massengesellschaft, die von kulturkonservativen und soziologischen Helfershelfern bejammert wird, ist für Theodor W. Adorno in Wahrheit nichts anderes als die verzweifelte Sanktionierung der Differenz als der Identität, die die Massen, vollends Gefangene des Systems, zu vollbringen trachten. Dabei imitieren sie die verstümmelten Herrscher, um vielleicht von diesen das Gnadenbrot zu erhalten, wenn sie sich nur hinlänglich ausweisen. Theodor W. Adorno erläutert: „Der Glaube, als organisierte Klasse überhaupt noch den Klassenkampf führen zu können, zerfällt den Enteigneten mit den liberalen Illusionen.“

Von Hans Klumbies