Eugen Drewermann prangert den tödlichen Fortschritt an

Die natürlichen Grundlagen der Erde sind durch die ungezügelte Vermehrung der Menschheit vor der Vernichtung bedroht. Die Urwälder und die letzten verbliebenen Naturreservate schrumpfen. Nur wenige Menschen äußern darüber Bedauern. Eugen Drewermann schreibt: „Wachstum ist das Mantra, mit dem unsere Politik heute alles zu lösen unternimmt, sowohl um Arbeitsplätze zu schaffen, als auch um Schulden abzubauen. Wachstum, auch als Druck der Bevölkerung durchaus gewollt, als Absatzmarkt, als Konsumentenwerbung. Wenn das so ist, haben die Tiere keine Chance mehr.“ Schon heute gibt es in Deutschland seiner Meinung nach zwischen den Alpen und dem Wattenmeer nichts mehr, was noch Natur wäre. Eugen Drewermann ist Theologe und Psychotherapeut. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen: „Strukturen des Bösen“, „Psychoanalyse und Moraltheologie“, „Tiefenpsychologie und Exegese“ sowie „Die sieben Tugenden.“

Das kapitalistische Wirtschaftssystem hat jeden ethischen Rahmen verloren

Eugen Drewermann weist darauf hin, dass manche Menschen inzwischen zu Recht meinen, die Menschheit bräuchte weniger eine neue Ethik, als vielmehr überhaupt eine Ethik. Das hat seine Richtigkeit, denn das kapitalistische Wirtschaftssystem kennt definitiv keinen ethischen Rahmen mehr. Eugen Drewermann erläutert: „Der Kapitalismus hat keine Messfühler für Menschlichkeit, Mitleid, Verantwortung und Rücksichtnahme – einzig der Kapitalrendite gegenüber, den Aktionären gegenüber taucht so etwas wie der Begriff der Verantwortung auf.“

In der kapitalistischen Gesellschaft kommt ein Wert einzig durch menschliche Arbeit zustande und er definiert sich nur über die Art, wie er sich auf dem Kapitalmarkt in der Geldform realisieren lässt. Wenn das so ist, haben laut Eugen Drewermann kein Korallenriff, keine Polkappe und kein Regenwald irgendeinen Wert. Denn die Natur arbeitet nicht, sie ist ein Gratisangebot. Die Klimakatastrophe ist eine erste Erinnerung und Mahnung daran, dass es so nicht weitergeht, weil es für die Menschheit zu teuer werden könnte, dagegen nichts zu unternehmen.

Den Menschen ist nichts mehr heilig auf der Welt

Eugen Drewermann zitiert Albert Schweitzer für den Ethik eine bis ins Unendliche gedehnte Verantwortung darstellte. Er sagte zum Beispiel: „Ein mitfühlender Mensch wird eine Blume nicht ausreißen.“ Von einer solchen Ethik ist die heutige Menschheit allerdings meilenweit entfernt. Ohne Diskussion wird beispielsweise quer durch den Amazonas-Urwald eine Tangente zur Panamericana gelegt, spätestens dann, wenn Goldvorkommen in Mato Grosso vermutet werden.

Den Gierigen und Ethiklosen ist es laut Eugen Drewermann auch völlig egal, ob dort noch Indianer leben, ob in Naturschutzgebieten noch Ethnien ihre Heimat haben, alles wird für sie zur Nebensache. Das den Menschen nichts mehr heilig ist, ist ein Hauptproblem der Gegenwart. Ethik scheint nur noch im Verstand aufgehoben zu sein. Das bloße Denken kommt allerdings nicht an gegen die Macht der menschlichen Gefühle. Eugen Drewermann fügt hinzu: „Für die Psychoanalyse war dies ein Hauptproblem, wie denn gegen die unglaubliche Stärke der Triebmacht, der Biologie in unserer Seele, irgendein sittliches Empfinden aufkommen könnte.“

Von Hans Klumbies