Boethius schreibt im Gefängnis sein Werk „Trost der Philosophie“

Anicius Manlius Severinus Boethius, der von 475 bis 525 lebte, war einer der letzten römischen Philosophen. Ähnlich wie seine Landsleute Seneca und Cicero sah er in der Philosophie eine Art Selbsthilfe, eine praktische Methode, das Leben zu verbessern, sowie eine Disziplin abstrakten Denkens. Er übersetzte auch Aristoteles und Platon ins Lateinische. So sorgte er dafür, dass ihre wichtigen Theorien nicht in Vergessenheit gerieten. Nigel Warburton ergänzt: „Als Christ sprach er mit seinen Schriften die frommen religiösen Philosophen an, die im Mittelalter seine Bücher lasen. Seine Philosophie schlug eine Brücke zwischen den alten griechischen und neueren römischen Denken und der aktuellen christlichen Philosophie, die nach seinem Tod jahrhundertelang in Westeuropa Gültigkeit haben sollte.“ Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

Boethius begegnet im Gefängnis der Philosophie

Das Leben des Boethius war ebenso geprägt von großen Glücksfällen als auch von Unglücksfällen. Der Westgotenkönig Theoderich verlieh ihm den hohen Posten eines Konsuls. Er stammte aus einer reichen Familie und wurde mit Ruhm überhäuft. Neben seiner Arbeit für die Regierung fand er noch Zeit für philosophische Studien. Zudem war Boethius ein fleißiger Schriftsteller und Übersetzer. Doch plötzlich wendete sich sein Schicksal: Nachdem er beschuldigt wurde, ein Komplott gegen Theoderich angezettelt zu haben, wurde er in Ravenna ins Gefängnis geworfen und hingerichtet. Er behauptete bis zu seinem Tod, unschuldig zu sein.

Als Boethius im Gefängnis auf seine bevorstehende Hinrichtung wartete, schrieb er sein Werk „Trost der Philosophie“. Das Buch wurde nach seinem Tod so etwas wie ein Bestseller des Mittelalters. Es beginnt damit, dass Boethius in seiner Gefängniszelle vor Selbstmitleid zerfließt. Plötzlich entdeckt er eine Frau, die auf ihn herunterblickt. Diese Frau gibt sich als Philosophie zu erkennen. Sie redet Boethius ins Gewissen. Sie ist verärgert über ihn, weil er sie vergessen hat, und ist jetzt hier, um ihn daran zu erinnern, wie er auf das, was ihm zugestoßen ist, reagieren soll.

Wahres Glück kann nur von Innen kommen

Der übrige Teil des Buches beinhaltet das Gespräch der beiden über das Glück und über Gott. Das Werk ist halb in Prosa und halb in Versform geschrieben. Nigel Warburton erläutert: „Die Philosophie in Gestalt einer Frau erteilt Boethius also Ratschläge. Sie erklärt ihm, dass das Glück etwas Flüchtiges sei und er sich darüber nicht wundern solle, denn das sei das Wesen des Glücks. Es ist unbeständig.“ Es gibt keine Garantie, dass man auch am nächsten Tag glücklich sein wird, sofern man es heute ist. Die Sterblichen sind dumm, weil sie ihre Zufriedenheit auf etwas so Unbeständiges gründen.

Wahres Glück kann nur von Innen kommen, von dem, was der Mensch kontrollieren kann, nicht von etwas, das durch einen Zufall zerstört werden kann. Das ist auch die Haltung der Stoiker. Wenn die Menschen im Hinblick auf das Unglück, das ihnen zustößt, von „philosophischer Gelassenheit“ sprechen, meinen sie genau das damit. Sie versuchen, sich nicht von Dingen berühren zu lassen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, wie zum Beispiel das Wetter oder der Tod. Nichts, erklärt die verkörperte Philosophie, ist an sich schlecht – es hängt ganz davon ab, wie wir darüber denken.

Von Hans Klumbies