Der Hirnforscher und Molekularbiologe Giovanni Frazzetto vermittelt in seinem neuen Buch „Nähe“ die aktuellsten Erkenntnisse der Neurobiologie über die Liebe, Partnerschaft, Freundschaft und Familie. Er beantwortet dabei unter anderem folgende Fragen: Warum betrügen wir unsere Partner, obwohl wir sie lieben? Weshalb fühlen wir uns häufig von Menschen angezogen, die sich überhaupt nicht binden wollen? Und welche Auswirkung kann Einsamkeit auf den Körper eines Menschen haben? Giovanni Frazzetto erklärt, wie das komplexe Zusammenspiel von Körper und Geist funktioniert, das Nähe zwischen Menschen erst ermöglicht. In acht „Liebesgeschichten“ beschreibt der Autor, wie Menschen versuchen, einander näherzukommen und welche Rolle Hormone, Gene und soziale Normen dabei spielen. Der Hauptdarsteller seines Buchs ist die Nähe, nach der sich fast jeder Mensch sehnt. Denn Einsamkeit kann töten, während das Zusammenleben mit einem geliebten Menschen euphorische Gefühle erzeugt.
Ängste und Sehnsüchte treiben Menschen in die Intimität
Der Begriff der „Nähe“ entzieht sich einer singulären Definition. Giovanni Frazzetto schreibt: „Von unverbindlichem Sex bis hin zu lebenslangen Bindungen, von der Ehe bis zum Fremdgehen, von Freundschaften bis zu bedingungsloser Liebe, wenn wir Zeugen von Geburt oder Tod werden, ständig hüllen sich Nähe und Intimität in ein neues Gewand.“ Auf der einen Seite sehen sich viele Menschen nach Nähe, auf der anderen Seite gibt es nicht wenige, die er bewusst aus dem Weg gehen, da sie eine demaskierende Form des Wissens über den anderen ist.
Wissenschaftlich betrachtet, taucht die Nähe in den banalsten Aspekten des menschlichen Alltags auf. Dabei geht es unter anderem darum, wie man in Beziehungen zu anderen seine Gedanken lenkt und seinen Körper einbringt, wie man Belohnungen sucht und anderen gibt, wie man Furcht zeigt oder Mut schöpft, wie man anderen vertraut und sich damit verwundbar macht. In dem Buch „Nähe“ begegnet der Leser Menschen, deren Ängste und Sehnsüchte sie in die Intimität treiben, durch sie hindurch und aus ihr heraus.
Sex ist gut für die Gesundheit und das Wohlbefinden
Ihr ganz eigenes Kapitel im Wörterbuch der Nähe schreibt die Berührung. Denn berührt werden ist niemals nur eine passive Erfahrung. Es schließt ein, in die Bewegungen und Absichten eines anderen Menschen hineingezogen zu werden. Giovanni Frazzetto schreibt: „Zwei Körper, die sich ineinander verschlingen, fühlen sich vereint und merken gleichzeitig, dass sie voneinander getrennt sind. Berührt zu werden besitzt die unterschwellige Macht, Teile des Körpers zu erwecken, die ansonsten tot oder vergessen erscheinen würden.“
Die Sexualität dagegen kann ganz schön für Verwirrung sorgen. Denn egal, wie kurz, spontan oder unverbindlich eine sexuelle Begegnung sein soll, sie ist aufgeladen mit Gedanken und Mutmaßungen, die sie kompliziert machen. Die eigentliche Tatsache Sex zu suchen, wird von Hoffnungen und Erwartungen durchzogen und kann auf Ausreden, Lügen und Auslassungen aufgebaut sein. Dabei gilt: „Durch all seine Lebenskraft ist Sex zweifellos gut für die Gesundheit und das Wohlbefinden und bildet eine starke Macht.“
Nähe
Wie wir lieben und begehren
Giovanni Frazzetto
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 207 Seiten, Auflage: 2018
ISBN: 978-3-446-25835-5, 20,00 Euro
Von Hans Klumbies