Der Staat ist zur alternativlosen Herrschaftsform aufgestiegen

Noch besitzt in vielen Regionen der Welt, etwa im Orient, aber nicht nur dort, die Familie und ihre natürliche Fortsetzung, die Sippe, der Klan oder Stamm, eine überragende Bedeutung. Vielerorts spielt auch die Nachbarschaftskultur eine über Jahrhunderte gewachsene Rolle. Auf der anderen Seite gibt es den Einzelstaat, auch Nationalstaat genannt, der nicht sowohl im Orient als auch im Okzident vorherrscht. Otfried Höffe stellt fest: „Nimmt man die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen zum Kriterium, so gibt es mittlerweile 193 Exemplare, weitere zehn warten als Anwärter auf die baldige Aufnahme.“ Da der Staat auch normativ gesehen den primären Ort politischer Legitimation bildet, ist er zur beinahe alternativlosen Herrschaftsform aufgestiegen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Die Gemeinwesen müssen jedem einzelnen Bürger zugute kommen

Für deren Rechtfertigung gibt es idealtypisch gesehen zwei Grundmodelle. Nach dem funktionalen Modell dient das Gemeinwesen seinen Bürgern, deren Freiheit und Gleichheit einen Eigenwert besitzen. Nach dem Alternativmodell hat den Selbstzweck das Gemeinwesen, allerdings nicht jedes, sondern lediglich ein freiheitliches Gemeinwesen. Letztlich zählt zwar allein der einzelne, aber nicht vereinzelte Mensch, die freie, selbstverantwortliche Person. Die politische Kultur von Gemeinwesen, die um der Freiheit der Bürger willen gegründet werden, zeichnet sich durch die Verbindung von Mentalitäten und Institutionen aus, die als solche zu pflegen sind.

Infolgedessen brauch es eine zweidimensionale Legitimation: Die Gemeinwesen müssen jedem Mitglied, jedem einzelnen Bürger, zugutekommen, also distributiv vorteilhaft sein. Zusätzlich brauchen sie den kollektiven Vorteil, den Gemeinwesen in ihrer freiheitlichen politischen Kultur zu dienen, nämlich diese politische Kultur zu initiieren, zur Blüte zu bringen und vor dem Verblühen zu bewahren. Nun finden sich die einzelnen Gemeinwesen nicht für sich allein in dieser Welt. Die politische Freiheit setzt sich daher aus zwei schon bei den Griechen entscheidenden Aspekten zusammen.

Ein freies Gemeinwesen gibt sich selbst die Gesetze

Otfried Höffe erläutert: „Gemäß der Autonomie im Inneren, dem Gegensatz zu Diktatur, Despotie und Tyrannei, gibt ein freies Gemeinwesen sich selbst die Gesetze, und zwar Gesetze, die den Bürgern einen Freiraum eigenen Handels erlauben. Und nach der äußeren Autonomie ist ein freies Gemeinwesen keiner Fremdherrschaft unterworfen.“ Als Gesetzgebung durch die Betroffenen, als Herrschaft des Volkes, trägt die für die Moderne wichtige innere politische Freiheit den Titel der konstitutionellen oder auch liberalen Demokratie.

Deren Rechtfertigung führt zu einer Grundthese und zugleich unverzichtbaren Element des aufgeklärten Liberalismus: Einschränkungen der Freiheit sind notwendig, aber nicht in der vom philosophischen Anarchismus befürchteten Form der Unterdrückung von Freiheit, sondern teils um die Freiheit zu ermöglichen, teils um sie zu sichern. Die andere, äußere politische Freiheit zeichnet sich durch staatliche Souveränität und Macht aus, die ebenfalls nicht unbegrenzt sein können, sondern sich in eine freiheitliche Weltordnung fügen müssen. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar