Clemens Fuest unterscheidet zwei Arten von Deflation

Die Situation der Wirtschaft in Deutschland und ganz Europa ist schwierig, aber deutlich besser als in der massiven Krise vor acht Jahren. Die Inflation liegt derzeit bei null Prozent, das Ziel ist zwei Prozent. Insofern kann Clemens Fuest die Motive der Europäischen Zentralbank (EZB) nachvollziehen, die den Leitzins auf null gedrückt hat und massenweise Staatsanleihen aufkauft. Aber Clemens Fuest merkt kritisch an: „Die EZB versucht eben auch, mit den niedrigen Zinsen die hoch verschuldeten Krisenstaaten zu entlasten. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Sie versucht außerdem die Konjunktur anzuheizen. Aber man kann sich fragen, ob das alles wirksam ist.“ Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Zinsen nicht allein von der EZB gemacht werden. Clemens Fuest ist seit dem 1. April 2016 Präsident der angesehensten deutschen Forschungseinrichtung in Sachen Ökonomie, des Ifo-Instituts in München.

Viele Haushalte und Unternehmen im Euroraum sind hoch verschuldet

Es gibt auch wichtige realwirtschaftliche Ursachen für die extrem niedrigen Zinsen. Viele Staaten versuchen ihre Budgetdefizite abzubauen. Die Unternehmen in den Krisenstaaten investieren nicht, weil sie hoch verschuldet sind. Die Nachfrage nach Krediten ist also gering. Gleichzeitig wird recht viel gespart, weil die Menschen sich Sorgen um die Zukunft machen. Trotz der historischen einmaligen Flutung der Märkte mit Geld, die die EZB betreibt, will sich kein höheres Wachstum einstellen. Clemens Fuest erklärt: „Geldpolitische Impulse dauern in der Regel zwei Jahre, bis sie wirklich durchdringen.“

Außerdem gilt: Viele Haushalte und Unternehmen im Euroraum sind hoch verschuldet. Da helfen Anleihekäufe nur sehr begrenzt. Hinzu kommen Probleme bei den Banken, die viele faule Kredite in ihren Büchern haben und infolge der niedrigen Zinsen nichts mehr verdienen. Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Lage, ist die Geldpolitik der EZB laut Clemens Fuest zu expansiv. Er stellt fest: „Die Risiken der jüngsten Beschlüsse – Blasenbildung an den Märkten, Verunsicherung des Finanzsektors – überwiegen aus meiner Sicht die Chancen.“

Das Wachstum in Europa beträgt nur magere ein bis zwei Prozent

Clemens Fuest unterscheidet zwei Arten von Deflation. Es gibt „schlechte“ Deflation, bei der sinkende Preise dazu führen, dass Unternehmen und Haushalte Käufe zurückstellen – in der Erwartung weiterer Preissenkungen. Das lähmt die Wirtschaft. Diese Art von Deflation gibt es derzeit nicht. Sondern eher eine Art „guter“ Deflation, bedingt durch niedrige Ölpreise, die Europa eher entlasten. Die niedrigen Energiepreise müssten allerdings zur Folge haben, dass die Leute andere Güter kaufen. Das tun sie aber nicht.

Clemens Fuest bilanziert: „Es ist schon bedenklich, dass bei einem so niedrigen Ölpreis, so niedrigen Zinsen und einem für die Exporte so günstigen Wechselkurs das Wachstum in Europa bei mageren ein bis zwei Prozent hängt. Clemens Fuest prognostiziert, dass der EZB eine sanfte Zinswende gelingt, wenn alles gut geht. Er geht davon aus, dass beim Ölpreis das Tief erreicht ist und dass von hier kein weiterer Druck auf die Preise erfolgt. Die Kerninflation liegt bereits bei knapp unter einem Prozent und wird weiter steigen, wenn die Erholung der Konjunktur in der Eurozone weitergeht. Quelle: Bilanz – Das deutsche Wirtschaftsmagazin

Von Hans Klumbies