Hans-Werner Sinn weist auf die Verlockungen niedriger Zinsen hin

Fallende Zinsen bedeuten für Hans-Werner Sinn nicht nur einen direkten rechnerischen Einkommensvorteil für Schuldenländer, sondern haben auch deren Verhalten verändert und sie veranlasst, ihre Sparanstrengungen zu vernachlässigen und noch mehr Schulden zu machen. Ein Problem der Demokratie sieht Hans-Werner Sinn darin, dass irgendeine Regierung Vereinbarungen unterschreibt und sich anstandshalber auch noch selbst daran hält, während sich ihre Nachfolger nicht mehr darum scheren und nur noch die gegenwärtigen Interessen ihrer Wähler bedienen. Sie verpassen dabei, nachkommenden Generationen etwas Gutes zu tun, die Wünsche der Gläubiger zu respektieren oder gar die Angst der Nachbarländer vor einer Schuldenhaftung in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 1999 wurde er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art.

Griechenland und Portugal investierten die Kredite kaum in ihre Infrastruktur

Hans-Werner Sinn erklärt: „Solange man darauf hoffen konnte, dass der Schutz des Eurosystems die Zinsen niedrig hielt, war die Verschuldung immer ein angenehmer Weg, das Staatsbudget zu füllen.“ In Griechenland und Portugal war es nicht viel anderes als in Italien. Die Defizitquoten dieser Länder lagen meistens über der Drei-Prozent-Grenze, obwohl diese Länder anfangs und Griechenland sogar bis zu Finanzkrise ein exorbitantes Wachstum hatten und sich wirklich nicht auf Notstände berufen konnten.

Neue Kredite wurden laut Hans-Werner Sinn in Griechenland und Portugal vor allem dazu verwendet, den Staatsbediensteten höhere Gehälter zu zahlen. Die neuen Kredite wurden kaum dazu verwendet, um in die Infrastruktur zu investieren. Hans-Werner Sinn nennt Zahlen: „In Griechenland stiegen die Gehälter von 2000 bis 2008 um nominal 80 Prozent und in Portugal um 30 Prozent. In Deutschland stiegen sie in der gleichen Zeitspanne nur um 10 Prozent, was weniger als der Anstieg der Verbraucherpreise war, der in der gleichen Zeitspanne bei 15 Prozent gelegen hatte.“

Viele Euroländer waren von einer Schuldensucht befallen

Aber nicht nur Griechenland und Portugal erhöhten ihre Staatsschulden. Vielmehr griff die von den niedrigen Zinsen erzeugte Schuldensucht allgemein um sich. Viele Länder hielten sich nicht an die Defizitgrenzen. Im Zeitraum von 1995 bis 2011 stieg die Schuldenquote der Euroländer im Durchschnitt von 72 auf 87 Prozent, was meilenweit über der nach dem Maastrichter Vertrag zulässigen Grenze von 60 Prozent liegt. Hans-Werner Sinn schreibt: „Der Euroraum selbst hätte so gesehen beim Euro nicht mitmachen dürfen.“

Zu den frühen Sündern zählt Hans-Werner Sinn auch Deutschland, dessen Defizitquote in den Jahren 2002 bis 2005 über die Drei-Prozent-Grenze hinauswuchs, ohne das Deutschland in einer Rezession war und insofern eventuell die Erlaubnis dafür gehabt hätte. Hans-Werner Sinn macht darauf aufmerksam, dass sich Bundeskanzler Gerhard Schröder damals massiv dafür einsetzte, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufzuweichen, damit Deutschland keine Strafe bezahlen müsse.

Von Hans Klumbies

 

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