Indem ein Mensch mit Geld etwas bezahlt, verwandelt er alle anderen in Zuschauer des Geldzaubers. Anders gesagt: Alle anderen Menschen versinken im Akt dieser Zahlung in eine wohltuende Neutralität. Norbert Bolz erklärt: „Denn für Verkäufer, Käufer und Zuschauer der wirtschaftlichen Transaktionen gilt, dass sie den jeweils anderen nicht mehr als „Individuum“ behandeln müssen. Das erleichtert das soziale Leben.“ Personen zu vertrauen ist zu riskant. In der modernen Welt kann man sich glücklicherweise Personenvertrauen durch Systemvertrauen ersparen. Doch das System ist undurchschaubar und unkontrollierbar. Deshalb ist das Angebot der modernen Wirtschaft unwiderstehlich, Systemvertrauen durch Geldvertrauen zu ersetzen. Geldvertrauen erspart einem Menschen das Vertrauen in andere Personen und in Informationen, die zum Verständnis des Systems nötig wäre. Univ.-Prof. Dr. Norbert Bolz lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin.
Geld ist maximal anpassungsfähig
Wo einem Menschen die notwendigen Informationen fehlen, um eine komplexe Situation zu analysieren, genügt ein Blick auf die Preise und Geldflüsse. Norbert Bolz erläutert: „Um diese faszinierende Leistungskraft des Geldes zu verstehen, muss man sehen, dass es als Medium funktioniert. Geld lässt sich beliebig stückeln, die Zahlungen sind miteinander extrem locker verknüpft. Man kann im Medium Geld nicht steuern und nicht prognostizieren, sondern nur kurzfristig reagieren.“
Geldverkehr hat keine Integrationseffekte und sorgt immer für absoluten Informationsverlust. Man sieht es den Scheinen in der Brieftasche nicht an, wer sie als Letzter wann und wozu benutzt hat. Norbert Bolz fügt hinzu: „Bedingungen der Möglichkeit und Folgelasten von Zahlungen spielen keine Rolle. Pecunia non olet. Geld hat kein Gedächtnis und ist deshalb maximal anpassungsfähig.“ Geld bringt den Menschen eines der seltenen Lebensstücke realer Gleichheit: die Gleichheit der ausreichenden Kaufkraft.
Geld funktioniert unabhängig von seiner Herkunft
Norbert Bolz stellt fest: „Es ist egal, ob der andere mehr Geld hat als ich; es genügt, dass ich genug Geld habe, um den Flug zu buchen, die Hi-Fi-Anlage zu kaufen oder die überteuerte Wohnung zu mieten.“ Wenn die Maschine ausgebucht ist, hilft es dem anderen nichts, dass er mehr Geld hat; auch der Wohlhabende sucht monatelang nach der neuen Wohnung. Und das Altbier an der Rheinpromenade kostet für den Staatssekretär genauso viel wie für den Arbeitslosen.
Der US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons hat dafür die schöne ironische Formel gefunden, alle Dollars seien frei und gleich geschaffen. Norbert Bolz betont: „Denn Geld ist auch reale Freiheit. Es funktioniert nämlich unabhängig von seiner Herkunft, und es ermöglicht jedem, der es besitzt, sich von seiner Herkunft befreien zu können.“ Jeder muss heute schon sicherstellen, dass er die Bedürfnisse von morgen befriedigen kann – das wird durch die Knappheit des Geldes ausgedrückt. Im Medium Geld wird diese chronische Knappheit beobachtet. Quelle: „Wo Geld fließt, fließt kein Blut“ von Norbert Bolz in „Der Geist im Gebirge“ von Konrad Paul Liessmann (Hg.)
Von Hans Klumbies