Heutzutage zählt nicht der außerordentliche Mensch, der Held oder das Genie, sondern das Team, die Mannschaft oder die Gruppe. Und jede Glanzleistung oder Niederlage ist am Ende das Ergebnis gelungener oder misslungener Kooperation. Tobias Haberl fügt hinzu: „Das postheroische Zeitalter, das auch ein postphallisches ist, mag keine Helden, die unbeirrbar ihren Weg gehen, keine Großkünstler, Steppenwölfe oder Chefs, die ihren Q7 um Mitternacht aus der Tiefgarage steuern, sondern Angestellte, die sich gesund ernähren, nach Feierabend ihre Mails checken und die richtigen Kollegen in CC setzen, damit Prozesse optimiert und Abläufe beschleunigt werden können.“ Maßvolle Zurückhaltung sticht jedes Ego. Der Literaturwissenschaftler Tobias Haberl schreibt für das „Süddeutsche Zeitung Magazin“. Sein letztes Buch „Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen“ wurde ein Bestseller.
Der Verzicht auf Heldenfiguren birgt Gefahren
Jeder Anflug von Originalität oder Temperament wird skeptisch beäugt, zu stark erinnert er an die verhassten Alphamänner, die ihre Erfolge ohne Rücksicht auf Verluste einfuhren. Tobias Haberl stellt fest: „Wer heute von Helden spricht, meint keine Kriegshelden, Sportler oder Entscheider, nein, Helden, das sind heute fast immer Helden oder Heldinnen des Alltags, Pflegekräfte, Kita-Betreuer und Supermarktkassiererinnen, also Menschen, die viel Applaus und wenig Geld bekommen.“
Der Philosoph Dieter Thomä findet den Begriff „postheroisch“ ungemein entlastend, „wie ein Zauberwort“, weil man endlich den schweren Rucksack los sei, in dem „Wackersteine aus der Vergangenheit“ lagerten: „die Kriegshelden, die Supermachos, die welthistorischen Individuen, die ihre Blutspur quer durch die Jahrhunderte gezogen hatten“. Trotzdem berge der Verzicht auf Heldenfiguren Gefahren. Denn wer sich in einer postheroischen Gesellschaft einrichte, sitze einer Lebenslüge auf und überlasse das Heldentum in fahrlässiger Großzügigkeit denjenigen, die damit ein florierendes Geschäft betrieben.
Kindheit und Jugend sind eine Lebenshaltung
Als Beispiel nennt Dieter Thomä autoritäre Machthaber, die all jene abfischten, die in der schönen neuen Welt der Vielfalt unter die Räder gekommen seien: „Nicht jede Heldin ist demokratisch, aber jede Demokratie braucht Heldinnen“, schreibt Dieter Thomä. Deshalb sollte man seine Sehnsucht nach besonderen Menschen auch im Zuge der Gleichbehandlung aller Menschen nicht aufgeben. Schon Friedrich Nietzsche hat gemahnt: „Wirf den Helden in deiner Seele nicht weg.“
Tobias Habel weiß: „Kindheit und Jugend sind nun mal mehr als eine Lebensphase, vielmehr eine Lebenshaltung, die für Unruhe, Ungestüm, Unbeholfenheit, aber auch für Beweglichkeit, Neugier und Veränderbarkeit steht.“ Klar ist die Gestalt des dämonengeplagten Genies reichlich abgehangen, ja komisch, aber soll man sie deswegen wirklich aufgeben? Der Historiker Jacob Burckhardt sah in der Bereitschaft, sich „für Größe offenzuhalten“, noch eine „Bedingung höheren geistigen Glückes“. Quelle: „Der gekränkte Mann“ von Tobias Haberl
Von Hans Klumbies