Demokratie ist undenkbar ohne politische Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit. Der Wert dieser Rechte erhöht sich entscheidend, wenn Organisationen ihren Gebrauch erleichtern. Dabei handelt es sich um „vermittelnde Institutionen“. Offensichtlich vermögen Vereinigungen, politische Parteien und die sogenannten alten Medien wahre Wunder zu wirken, wenn es darum geht, eine Botschaft zu vervielfältigen. Jan-Werner Müller weiß: „Politische Gleichheit lässt sich am besten begreifen als Gleichheit der Chancen auf politische Partizipation. Konkret setzt das einen einigermaßen leichten Zugang zu intermediären Mächten voraus sowie nicht völlig illusorische Möglichkeiten, neue Instanzen dieser Art zu schaffen.“ Die Öffentlichkeit ist ein niemals endender Film, kein Schnappschuss, oder eher noch eine Vielzahl gleichzeig laufender Filme und Plots. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.
Aus der Literaturkritik entstand die politische Kritik
Die Öffentlichkeit ist weder auf einen spezifischen Ort noch auf Fortschritte in der Medientechnologie angewiesen. Sie kann natürlich ein besonderer Platz sein: Die Agora im alten Athen diente als Raum für Gerichtsbarkeit, Handel und religiöse Riten. Dort fanden auch zufällige Begegnungen statt, wo Oligarchen auf Tuchfühlung mit Sklaven kamen. Im 28. Jahrhundert waren Kaffeehäuser und Salons die Schauplätze, Zeitungen die Werkzeuge zum Schärfen der Meinungen.
Über ihrem Kaffee debattieren Gentlemen beispielsweise über die Vorzüge der neuesten Romane. Schließlich wandten die Gespräche sich den staatlichen Angelegenheiten zu, aus Literaturkritik entwickelte sich politische Kritik. Und in beiden Fällen zählte allein das bessere Argument und nicht die höhere gesellschaftliche Stellung. Jan-Werner Müller stellt fest: „Das Kaffeehaus war kaum ein wilder Ort, doch die Konversation kannte keine Grenzen. Und aus dem politischen Gespräch erwuchs schließlich Druck auf die Regime, sich nicht bloß vor dem Volk zu repräsentieren, sondern sich dem Urteil des Volkes zu unterwerfen.“
Viele politische Denker und Politiker hielten Parteien für überflüssig
Die Öffentlichkeit herrschte nicht, erhob aber ihre Stimme. Bis 1771 war es ein Vergehen, über Debatten im britischen Unterhaus zu berichten. Man sollte die Auseinandersetzung hinter verschlossenen Türen führen, um den Druck der Öffentlichkeit davon fernzuhalten. Honoré de Balzac konnte 1840 nüchtern feststellen: „Die öffentliche Meinung wird in Paris produziert, und zwar mit Tinte und Papier.“ Doch die Medien waren nicht die einzige kritische Institution in diesem neuen „Publizitätsregime“.
Jan-Werner Müller erläutert: „Im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert kamen politische Parteien hinzu. Selbst wenn viele politische Denker – und auch viele Politiker – den von George Washington verspotteten „Parteigeist“ für alles andere als erstrebenswert hielten.“ Thomas Jefferson erklärte sogar melodramatisch: „Wenn ich nicht ohne eine Partei in den Himmel kommen könnte, käme ich lieber gar nicht hin.“ Trotz vieler Vorbehalten gründete James Madison schließlich zusammen mit Thomas Jefferson eine politische Partei – die Demokratisch-Republikanische Partei. Quelle: „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit“ von Jan-Werner Müller
Von Hans Klumbies