Stéphane Hessel fordert die Bürger zur Empörung auf

Der 93 Jahre alte französische Diplomat und Lyriker Stéphane Hessel glaubt, dass die enorme Wirtschaftskrise der Gegenwart dazu beigetragen hat, das Vertrauen der Bürger in seine Regierungen zu erschüttern. Denn in Demokratien wie Frankreich, Spanien oder Deutschland haben die Menschen das Gefühl, ihre Regierungschefs und Parlamente könnten die Wirtschaftskrise nicht überwinden. Das Leben der gewöhnlichen Bürger ist schwieriger geworden. Stéphane Hessel sagt: „Wir können keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden, unser Gesundheitssystem reicht nicht aus, unser Bildungssystem lässt zu wünschen übrig.“ Deshalb hat er eine kleine Streitschrift gegen den Kapitalismus mit dem Titel „Empört euch“ geschrieben, die sich in Frankreich 1,7 Millionen Mal und in Deutschland über 500.000 Mal verkaufte.

„Empört euch“ und „Engagiert euch“

In seinem Bestseller beschreibt Stéphane Hessel die Diktatur der internationalen Finanzmärkte, die den Frieden in Demokratien bedroht. Er sagt: „In dem Büchlein dreht es sich um zwei große Themen: die Wirtschaftsmächte, die den einen enorme Summen einbringen und die anderen arm machen, sowie um die Beschädigung unseres Planeten. Beides betrifft die ganze Welt und lässt sich nur durch gewaltloses Handeln überwinden.“

Neun Monate nach der Schrift „Empört euch“ hat Stéphane Hessel den Appell „Engagiert euch“ veröffentlicht. Er klagt, dass es keine Jugend mehr gibt, die mit den politischen Parteien eine besonders starke Beziehung unterhalten würde. Er fordert: „Ich sage immer wieder: Ihr müsst wählen! Die Demokratie besteht darin, dass man wählt und dass Parteien sich engagieren. Wenn das Vertrauen in die Parteien nicht reicht, solltet ihr euch in Massenbewegungen engagieren, so wie es die Ägypter, Tunesier uns Syrer getan haben.“

Der Widerstand braucht Eliten des Verstandes

Stéphane Hessel lobt die Nichtregierungsorganisation Attac, die Menschen weltweit zusammenbringt. Die Probleme seiner Jugend waren noch nationaler Art, während die  Jugendlichen von heute mit weltweiten Problemen konfrontiert werden. Er fordert: „Deswegen muss das Sich-Engagieren auch weltweit sein.“ Auch die politischen Parteien müssen über die Grenzen hinweg miteinander zusammenarbeiten und einen Willen zur Veränderung der aktuellen Wirtschaftslage entwickeln. Die Erwachsen und die Jugendlichen müssen sich dafür gemeinsam einsetzen.

Um bei wirtschaftlichen Fragen eine ernste und erfolgreiche Oppositionspolitik betreiben zu können, braucht es laut Stéphane Hessel neue Eliten. Aber keine die sich auf Geburt oder Geld gründet, sondern auf die Kraft des Verstandes. Aber auch die Bildungseliten sind nicht von den Verlockungen des Geldes gefeit. Er sagt: „Es gibt in unserer Psyche den Teil des Egoismus, der Gier, des Habenwollens, das kann man nicht verneinen. Es gibt aber auch die andere Seite, die Liebe, die Menschenliebe, die Großzügigkeit, das Gutseinwollen, das Guttunwollen. Eine Elite würde eine Gruppe von Menschen sein, die das Positive in der Psyche repräsentiert.“ Dies wäre für Stéphane Hessel beinahe eine philosophische Art, Widerstand zu leisten.

Von Hans Klumbies