Otfried Höffe kennt die sechs Stufen der Freiheit

Um sich den Bedeutungsraum der personalen Freiheit zu vergegenwärtigen, kann man sechs Bedeutungen unterscheiden, die, weil sie aufeinander aufbauen, Stufen der Freiheit heißen mögen. Otfried Höffe erläutert: „Weil die ersten drei für den Menschen nicht spezifisch sind, liegt schlichte Freiheit, noch keine personale Freiheit vor. Ihr gegenüber handelt es sich um Vorstufen. Erst bei den nächsten drei Stufen, den Hauptstufen geht es um die personale Freiheit selbst.“ Man mag sich fragen, warum die Überlegungen so weit ausholen. Drei Gründe sprechen für den Beginn bei den Vorstufen. Zum einen vermeidet man eine voreilige Anthropozentrik, denn selbst der Ausdruck, der den Menschen aus der Natur herauszuheben scheint, die Freiheit, bleibt für die naturale Seite des Menschen offen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Den Menschen zeichnet seine Sprache und seine Vernunft aus

Auf diese Weise wird die beliebte Alternative, ob der Mensch zur Natur gehöre oder eine Sonderstellung einnimmt, als ein irreführendes Entweder / Oder entlarvt. Denn in Wahrheit trifft beides zu: Der Mensch ist in der Natur vielfach verankert und fällt trotzdem aus ihr heraus. In Abwandlung der anthropologischen Bestimmung als zoon logon echon und zugleich deswegen, wegen der Sprach- und Vernunftbegabung, ist der Mensch jenes Tier, dass sich von anderen Tieren nicht durch Freiheit überhaupt, wohl aber durch eine entschieden höherstufige Freiheit auszeichnet.

Zum zweiten enthält das Phänomen der Freiheit eine innere Dynamik. Nicht zuletzt wird die Debatte um die menschliche Freiheit entlastet. Wenn schon subhumanen Wesen Freiheit zukommt, geht es nicht mehr um die Alles-oder-Nichts-Frage. Nicht ober der Mensch überhaupt frei ist, bleibt zu entscheiden, sondern die Frage, auf welche Art der Mensch frei ist, und die weitere Frage, ob sich diese Art von der Freiheit, die sich schon im Tierreich findet, unterscheidet. Die bescheidenste Stufe, eine Quasiselbstbestimmung, beobachtet man schon in der anorganischen Natur.

Nur der Mensch muss seinen Trieben nicht folgen

Gesteigert wird die anorganische Freiheit im Bereich des Organischen, da sich hier eine echte Selbstbestimmung findet. Die Bewegung erfolgt bei drei Aufgaben pflanzlichen Lebens aus der Pflanze selbst heraus: Bei der Ernährung, dem Wachstum und bei der kollektiven Selbstbewegung, der Fortpflanzung, ist sie ein Sichbewegen, auch wenn es bei der dritten Aufgabe in der Regel zusätzlich äußerer Kräfte bedarf, etwa Insekten, die die Pflanzen bestäuben. Bei den Tieren werden diese drei Leistungen insofern qualitativ gesteigert, als drei aus sich heraus gesteuerte, insofern freie Tätigkeitsarten hinzukommen: die Wahrnehmung, die Fortbewegung und das Streben zu Dingen hin oder von ihnen weg.

Bei dieser dritten Vorstufe, der spezifisch animalischen Freiheit, beispielsweise bei Hunger und Durst, wird das Moment des Sich zu einem praktischen, allerdings erst sinnlich-praktischen Selbstbewusstsein gesteigert, zu Gefühlen der Lust und Unlust, was einen neuen Spielraum des Verhaltens eröffnet. Bei den nächsten drei, für den Menschen spezifischen Freiheitsbedeutungen dürfen die schon in der Tierwelt anzutreffenden Antriebe wie Hunger, Durst, Aggression und Sexualität, eine Macht, aber keine Übermacht besitzen. Sie müssen vielmehr der Frage Raum lassen, ob es gut ist, den jeweiligen Antrieben zu folgen. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe

Von Hans Klumbies