Der Kernbestandteil eines jeden Gemeinwesens besteht in einem Recht, das sich wesentlich mit Zwangsbefugnis verbindet. Seinetwegen hat jedes Gemeinwesen einen Herrschaftscharakter, weshalb nicht die „geordnete Anarchie als philosophisches Leitbild des freiheitlichen Rechtsstaates“ behauptet werden kann. Otfried Höffe erklärt: „Weil angeblich jede Regierung Rechte von Individuen verletzt, taucht selbst gegen eine von den Betroffenen ausgeübte Herrschaft Skepsis auf.“ Es ist überraschend, dass ursprünglich, im Griechischen, die Herrschaftslosigkeit durchweg negativ bewertet wird. Auch in der politischen Neuzeit, etwa von Niccolò Machiavelli über Montesquieu bis Voltaire, herrscht die negative Einschätzung vor. Erst in Karl Marx` und Friedrich Engels` These vom Absterben des Staats, bei dem davon beeinflussten Herbert Marcuse, auch in der subversiven Institutionenkritik eines Michel Foucault und nicht zuletzt in antiautoritären Bewegungen lebt der Gedanke der Herrschaftsfreiheit auf. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Freiheit ist um der Freiheit willen einzuschränken
Nimmt man den Gedanken der Herrschaftsfreiheit in einem Gedankenexperiment des Naturzustandes ernst, entdeckt man Widersprüchlichkeiten. Otfried Höffe erläutert: „Ein Zustand der Rechts- und Verfassungslosigkeit gibt nämlich zunächst jedem Menschen die Freiheit, eigene Zwecke mit den ihm als recht erscheinenden Mitteln zu verfolgen.“ Diese Freiheit, die, wie Thomas Hobbes erklärt, „ein Recht selbst auf den Körper eines anderen“ einschließt, bedroht die entsprechende Freiheit der Mitmenschen, weshalb es das Gegenteil zum Naturzustand, also ein zwangsbefugtes Recht und mit ihm politische Herrschaft braucht.
Die Freiheit auf alles entpuppt sich in sozialer Perspektive als Freiheit auf nichts, denn weder Leib noch Leben noch Hab und Gut noch irgendein Freiraum persönlicher Existenz sind letztlich geschützt. Die Konsequenz liegt auf der Hand, eine spezielle Paradoxie: Die Freiheit ist um der Freiheit willen einzuschränken. Inzwischen haben die Menschen längst den hypothetischen Naturzustand verlassen und an seiner Stelle eine die Freiheit sichernde Form des Zusammenlebens geschaffen. Dabei muss man allerdings beachten, dass Rechte nicht die Wirklichkeit der freiheitlichen Herrschaft garantieren.
Die Beschränkung der Freiheit ist nur zu deren Sicherung legitim
Im Gegensatz zum philosophischen Anarchismus ist politische Freiheit erstens nur als Freiheitseinschränkung möglich, die aber zweitens nicht zur Unterdrückung von Freiheit, sondern allein zu deren Sicherung legitim ist. Möglich ist die Einschränkung auf vielfältige Weise, etwa dass die Stärkeren ein größeres Maß an Freiheit beanspruchen. Otfried Höffe ergänzt: „Insofern braucht es noch einen normativen Gesichtspunkt, des näheren den basalen Gerechtigkeitsgedanken der Gleichheit, die niemanden zu bevorzugen, zugleich niemanden zu benachteiligen verlangt.“
Immanuel Kant schreibt: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Dieses Prinzip der allgemeinen Verträglichkeit von Freiheit wird von John Rawls als erster Gerechtigkeitsgrundsatz aufgenommen: „Jedermann hat das gleiche Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.“ Quell: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies