Im Rausch kann der Mensch aus sich selbst heraustreten

Stammestänze, Koka-Blätter, Weihrauch: Alle Kulturen finden Wege, die Sehnsucht nach dem Rausch zu befriedigen. Weil fast jeder Mensch Fluchtwege aus dem Alltag braucht. Das Leben eines Menschen wird bestimmt von Regeln, die eine Gesellschaft aufrechterhalten. Das bringt viele Zwänge mit sich. Zum Ausgleich gibt es die Freizeit. Die einen gehen tanzen, joggen bis zur Erschöpfung oder verbiegen sich beim Yoga. Die anderen gehen in die Kneipe, rauchen Haschisch oder pflegen ihre Briefmarkensammlung. Aber vielleicht wird auch die eigene Persönlichkeit als Zwang empfunden. Der Psychologe und Autor Dr. Jürgen vom Scheidt nennt eine der großen Sehnsüchte, die mit dem Rausch verbunden sind: „Wir können aus uns selbst heraustreten. Der Mensch braucht zwar eine stabile Umgebung, die unter gewissen Regeln funktioniert. Aber manchmal braucht er auch genau das Gegenteil.“

Der Rausch gehört zur Psychologie des Menschen

Der Rausch ist anarchisch, gegen jedwede Vernunft. Er ist ein Widersinn. Jürgen vom Scheidt erklärt: „Auch der Rausch gehört zur Psychologie des Menschen.“ Jeder muss sich auch von den Strukturen des Alltags lösen können. Allerdings braucht es dafür keine Drogen. Ulrich vom Scheidt fügt hinzu: „Mit ihnen geht es einfach nur schneller und intensiver.“ Wer einen Berggipfel erklimmt, Tango bis zur Ekstase tanzt, Ski abseits der Piste fährt oder sexuelle Abenteuer sucht, bricht ebenso ein Stück weit aus dem Alltag aus.

Der Körper greift dann auf ein ganzes Spektrum von Stoffen zurück: Endorphine, Adrenalin oder Endocannabinoide sind die drei bekanntesten. Sie können den Körper in einen Rausch versetzen, in einen anderen Zustand des Bewusstseins. Ihn zu erlangen und zu erfahren war schon immer ein tiefes Bedürfnis des Menschen. Professor Michael Schetsche, der Soziologie und Kulturanthropologie an der Uni Freiburg lehrt, erläutert: „Die Unterscheidung zwischen alltäglichen und außeralltäglichen Bewusstseinszuständen finden wir weltweit in sämtlichen uns bekannte Kulturen vor.“

Der Rausch hat auch eine heilige Funktion

Michael Schetsche fährt fort: „Überall, wo Menschen leben, werden Techniken oder Substanzen verwendet, um in einen anderen Bewusstseinszustand zu gelangen.“ Geändert hat sich inzwischen allerdings, wie Menschen den Rausch nutzen. Er war nie zuvor etwas, das man nur um seiner selbst willen, aus reinem Vergnügen oder zur Verdrängung von Problemen herbeigeführt hat – und nach dem man deshalb so leicht süchtig werden kann. Michael Schetsche blickt zurück: „In den meisten Kulturen gehörte der Rausch zu einer sakralen Feiertagskultur, zu bestimmten Ritualen und spirituellen Praktiken.“

Der Mensch hat schon sehr früh die Vorstellung gehabt, Geistern oder Göttern nur oder besser in einem außergewöhnlichen Zustand des Bewusstseins näher sein zu können. Michael Schetsche nennt Beispiele: „Man braucht ein Hilfsmittel. Tanz, Musik, Atemtechnik, oder eben verschiedene Substanzen. Mindestens aber Räucherstäbchen oder Tabak.“ Der Rausch hat auch eine sakrale, also heilige Funktion – noch heute. Zum Beispiel in der katholischen Kirche. Michael Schetsche erläutert: „Weihrauch ist eine traditionelle Droge, die die Kommunikation mit übergeordneten Wesen ermöglichen soll.“ Quelle: Apotheken Umschau

Von Hans Klumbies