Deutschland beschäftigt sich mit wenigen Künstlern so eingehend wie mit Georg Baselitz. Museen widmen ihm wie jetzt 2016 in Frankfurt am Main, große Ausstellungen. Und doch hat Georg Baselitz gegenüber Deutschland ein tief sitzendes Unsicherheitsgefühl. Sogar Angst, eine geradezu physische Angst. Er traut diesem Land nicht, er traut dem Frieden nicht. Georg Baselitz sagt: „Ich habe Angst vor der Politik, die mir nicht behagt. Ich habe zwei Gesellschaftsordnungen hinter mir gelassen, den Nationalsozialismus, dann den Sozialismus beziehungsweise Kommunismus. Und die deutsche Neigung sich einzumischen in das Leben der Menschen, ist im Moment wieder sehr groß.“ Georg Baselitz hat einfach Angst vor einem Polizeistaat. Manchmal macht der Staat auf ihn einen sehr schwachen Eindruck, aber wenn es darauf ankommt, dann ist er das nicht.
In den Sechzigerjahren gab es kein Publikum für Kunst
Auf die Frage, ob er sich Mitte der Sechzigerjahre vorstellen konnte, einmal einer der erfolgreichsten Künstler der Welt zu sein, antwortet Georg Baselitz: „Nein, das konnte ich nicht, das gehörte ins Reich der Fantasie. Die Situation war verheerend schlecht. Es gab kein Publikum für Kunst. Die Anzahl der Leute, die sich Bilder ansahen, war winzig. In Westberlin gab es in dieser Zeit zwei und eine halbe Galerie. Das waren kleine Wohnungen. Die Bilder waren auch sehr klein.“ Als er 1965 anfing, seine Helden zu malen, war Georg Baselitz 27 Jahre alt.
Seine Hauptbeschwernis war damals die existenzielle Angst, obwohl man Georg Baselitz bereits kannte. Im Jahr 1963 war zwei seiner Bilder beschlagnahmt worden, und zwar wegen „unzüchtiger Darstellungen“. Es waren expressive, düsterfarbene und damit irgendwie sehr deutsche Bilder – auf beiden Gemälden spielten aber auch überdimensionale Geschlechtsteile eine Rolle. Beamte hatten die Werke in Decken gehüllt und aus der Galerie gebracht. Georg Baselitz kam damit in die Presse, auch der SPIEGEL schrieb ausführlich – ebenso darüber, dass die Bilder sofort verkauft waren.
Die Künstler hatten in den Sechzigerjahren alle Freiheiten
Kunst wurde damals nur wahrgenommen, wenn sie unter Pornografieverdacht fiel, Georg Baselitz wurde als Pornograf angesehen. Aber die damalige Situation hatte auch ihre Vorteile. Georg Baselitz erklärt: „Diese kleine Kunstwelt, dieses nicht vorhandene Publikum ließ denen, die Kunst schufen, eigentlich alle Freiheiten. Ich konnte ja dann machen, was ich wollte, und es interessierte keinen. Aber es ging eben so weit, dass ich nichts zu beißen hatte. Und ich dachte, das würde immer so bleiben. Am Horizont war nichts zu sehen.“
Die frühen Bilder, die nun in Frankfurt am Main ausgestellt werden, zeigen ungewöhnliche Kerle, breite Männergestalten mit kleinem Kopf, in Uniformen, so zerschlissen, dass diese kaum noch zu erkennen sind. Und in dieser Kluft erscheinen sie nackt, verloren. Diese Zeichnungen und Gemälde wirken, als hätte sie jemand gemalt, der in seinem Leben viel gesehen hat. Dabei war Georg Baselitz damals noch jung. Aber der Künstler hat ein großes Repertoire an Erinnerungen, die er bis heut mit sich herumschleppt. Damals hat er es herausgemalt.
Kurzbiographie:
Georg Baselitz wurde als Hans-Georg Kern im sächsischen Ort Deutschbaselitz geboren. 1956 begann er in Ostberlin zu studieren, wurde aber wegen „gesellschaftlicher Unreife“ von der Hochschule verwiesen; sein Studium setzte er in Westberlin fort. Das Städel Museum in Frankfurt am Main zeigt im Jahr 2016 seine frühe, kunsthistorisch bedeutende Serie „Die Helden“. Es sind imposante Gemälde und Zeichnungen von kaputten, verstörten Typen in zerfetzten Uniformen. Georg Baselitz schuf sie Mitte der Sechzigerjahre als Erinnerung an die Kriegszeit. Quelle: Der Spiegel
Von Hans Klumbies