Populisten glauben nicht an ihre eigene Rhetorik

Woran kann man populistische Parteien erkennen? Der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller antwortet: „Linke und rechte Politiker verwandeln sich in Populisten, wenn sie behaupten, das wahre, echte und einzige Volk zu repräsentieren.“ Diese Aussage enthält drei Teilaspekte. Erstens die Idee einer korrupten Elite, die nicht zum wahren Volk gehört. Zweiens die Idee eines homogenen Volkswillens, den nur der Populist vertreten kann. Und drittens Antipluralismus, also die Idee einer homogenen Wählerschaft. Philipp Hübl ist da anderer Ansicht: „Bei genauer Betrachtung jedoch sind die Teilelemente der Analyse fraglich. Erstens glauben weder die Populisten an ihre eigene Rhetorik noch ihre Wähler.“ Die Alternative für Deutschland (AfD) positioniert sich beispielsweise gegen alle anderen Parteien, die über 80 Prozent der Wähler repräsentieren. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

Populismus ist ein Bündelbegriff

Wenn AfD-Politiker vom „wahren Volk“ sprechen, meinen sie sicher nicht ein homogenes Volk. Die Gegner, also die „links-grün versifften“ Deutschen und die Ausländer stehen der Homogenität ja gerade im Wege. Unter den Rechtsradikalen ist Homogenität nicht der Ausgangspunkt populistischer Politik, sondern ihr Ziel. Die Rede vom „wahren Volk“ ist nichts weiter als die Beschönigung der bekannten Stammeslogik: wir gegen die anderen. Statt „Wir vertreten das wahre Volk“ könnten die Populisten auch einfach sagen: „Unser Stamm ist besser.“

Das tiefe Problem an der „Definition“ ist der Wunsch vieler Menschen nach moralischer Vereindeutigung. Sie würden am liebsten an einer einzigen Formulierung erkennen, ob ein Politiker ein Populist ist. Leider ist das nicht so einfach. Die wenigsten Begriffe liegen als Definitionen im klassischen Sinne vor, die man an einem einzigen Kriterium eindeutig bestimmen kann. Populismus ist ein Bündelbegriff wie Religion oder Kunst, der eine Liste von Merkmalen umfasst.

Populisten haben eine Anti-Establishment-Haltung

Von diesen mus lediglich eine hinreichende Menge, aber nicht jedes Merkmal in jedem Fall erfüllt sein. Welche sind das? Philipp Hübl antwortet: „Eine Anti-Establishment-Haltung ist sicherlich ein zentrales Merkmal. Linke und rechte Populisten können sich darauf einigen, dass die Welt oder zumindest ihr Land von korrupten Eliten regiert wird.“ Daneben wenden sich Populisten oft gegen das Mehrheitsprinzip und glauben an einen Volkswillen, dem sich alle anschließen würden.

Auf Homogenität zielen allerdings nur die Rechten, die zur Extremform von Antipluralismus, zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit neigen. Die Idee der Volkssouveränität kann jedoch kaum als Kriterium für Populismus gelten, weil sonst alle Verfechter der direkten Demokratie unter Populismusverdacht stünden, und damit fast alle Schweizer. Dagegen sehen die Wähler aller Populisten die Globalisierung als Bedrohung an. Linke Elitenkritik ist eher antiautoritär und rechte eher autoritär. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl

Von Hans Klumbies