Erich Fromm macht sich Gedanken über den Glauben

Wenn keine Hoffnung mehr besteht, ist für Erich Fromm das Leben tatsächlich oder potentiell zu Ende. Denn die Hoffnung ist ein dem Leben selbst innewohnendes Element. Sie ist Ausdruck der Dynamik des menschlichen Geistes. Laut Erich Fromm steht sie in engem Zusammenhang mit einem anderen Element des Lebens, nämlich mit dem Glauben. Erich Fromm definiert den Glauben wie folgt: „Glauben heißt, von etwas noch nicht Bewiesenem überzeugt zu sein, ist ein Wissen um die realen Möglichkeiten, bedeutet sozusagen einer „Schwangerschaft“ gewahr zu werden. Glaube ist dann rational, wenn es sich dabei um das Wissen um das Wirkliche, aber noch Ungeborene handelt. Er gründet sich auf ein Wissen und Verstehen, das unter die Oberfläche dringt und den Kern wahrnimmt.“

Der Glaube ist die Gewissheit im Ungewissen

Der Glaube ist laut Erich Fromm keine Voraussage der Zukunft, sondern vielmehr die Vision der Gegenwart im Zustand der Schwangerschaft. Die Behauptung, dass der Glaube Gewissheit sei, bedarf seiner Meinung nach einer Qualifizierung. Er schreibt: „Es handelt sich um die Gewissheit hinsichtlich der Realität einer Möglichkeit – nicht aber um eine Gewissheit im Sinne einer zweifelsfreien Voraussagbarkeit.“ Es ist das Paradoxe am Glauben, dass es die Gewissheit des Ungewissen ist.

Der Glaube ist für Erich Fromm die Gewissheit der Vision und des Verstehens und nicht die Gewissheit hinsichtlich eines bestimmten Endergebnisses. Der Glaube beruht auf der menschlichen Erfahrung und dass der Mensch leben und sich wandeln kann. Erich Fromm fügt hinzu: „Der Glaube, dass andere sich wandeln können, entspringt unserer Erfahrung, dass wir dazu imstande sind.“ Erich Fromm vertritt auch die These, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen einem rationalen und irrationalen Glauben gibt.

Erich Fromm unterscheidet zwischen einem rationalen und einem irrationalen Glauben

Während der rationale Glaube dem menschlichen inneren Tätigkeit im Denken und Fühlen entspringt, bedeutet irrationaler Glaube die Unterwerfung unter etwas Gegebenes, das der Mensch als wahr hinnimmt, ganz gleich, ob es das ist oder nicht. Das Wesentliche am irrationalen Glauben ist für Erich Fromm die Untätigkeit, ob nun der Gegenstand des Glaubens ein Idol, ein Führer oder eine Ideologie ist. Selbst ein Wissenschaftler sollte frei sein von dem irrationalen Glauben an traditionelle Ideen, um an die Macht schöpferischen Denkens auf rationale Weise glauben zu können.

Wer im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen an einen anderen Menschen glaubt, bedeutet dies, dass er sich seines Kernes sicher ist, das heißt seiner Zuverlässigkeit und der Unveränderlichkeit seiner Grundeinstellung. Erich Fromm fügt hinzu: „Im gleichen Sinn können wir auch an uns selbst glauben – nicht an die Beständigkeit unserer Meinungen, sondern an unsere Grundeinstellung zum Leben, an die Matrix unserer Charakterstruktur. Ein solcher Glaube wird bestimmt durch die Erfahrung, die wir mit uns selbst gemacht haben, durch unsere Fähigkeit, legitimerweise „Ich“ zu sagen, durch unser Identitätserleben.“

Kurzbiographie: Erich Fromm

Erich Fromm wurde am 23. März 1900 in Frankfurt am Main geboren. Vor seinem Jurastudium an der Frankfurter Universität beschäftigte er sich stark mit dem Talmud. Da er sich mit dem Studium der Rechte nicht sehr anfreunden konnte, ging er nach Heidelberg um Soziologie zu studieren. 1922 promovierte er mit einer Dissertation über „Das jüdische Gesetz“. 1926 heiratet er die Psychiaterin Frieda Reichmann und absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung. 1929 wurde Erich Fromm zum Mitbegründer des Süddeutschen Instituts für Psychoanalyse in Frankfurt.

Im Jahr 1933 hielt Erich Fromm Gastvorlesungen an der Universität von Chicago und ließ sich ein Jahr später in New York nieder. 1941 erschien sein Buch „Die Furcht vor der Freiheit“, durch das er berühmt wurde. 1947 publizierte er sein bedeutendes Werk „Psychoanalyse und Ethik“. 1951 wurde Erich Fromm Professor für Psychoanalyse an der Autonomen Universität von Mexiko. 1955 erschien sein drittes Hauptwerk „Der moderne Mensch und seine Zukunft“. Seinen größten publizistischen Erfolg erzielt Fromm allerdings mit seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ (1956). Sehr bekannt geworden ist auch sein Spätwerk „Haben oder sein“ von 1976. Erich Fromm der seit 1974 in Locarno, in der Schweiz, lebte, starb am 18. März 1980.

Von Hans Klumbies