George Eliot beschreibt das Schicksal junger Frauen

Die englische Schriftstellerin George Eliot, die eigentlich 1819 unter dem Namen Mary Anne Evans geboren wurde, schrieb: „Ein Menschenleben, so meine ich, sollten in einem heimatlichen Flecken tief verwurzelt sein, wo es die Liebe zärtlicher Verbundenheit für das Gesicht der Erde erfährt, für die Arbeiten, die die Leute verrichten, für die Klänge und Akzente, für alles, was dieser frühen Heimat eine unverwechselbare Vertrautheit verleiht inmitten der Erfahrungen, die noch kommen werden.“ In dem berühmten Vorwort zu ihrem Roman „Middlemarch“ schreibt George Eliot von den Schwierigkeiten vieler junger Frauen, ihre Bestimmung im Leben zu finden. Sie spüren in ihrem Innern eine starke Sehnsucht, schrieb sie, eine geistige Inbrunst, ihre Energien auf ein gewichtiges, hohes und bedeutsames Ziel zu lenken. Sie werden von hehren moralischen Ambitionen angetrieben, dem dringenden Bedürfnis, ihr Leben in den Dienst einer heroischen gerechten Sache zu stellen.

George Eliot strebt nach geistiger Vollkommenheit

George Eliot schreibt über diese jungen Frauen: „Ihre Flamme verzehrte schnell diesen leichten Brennstoff und stieg, von innen genährt, einer grenzenlosen Erfüllung entgegen, einem Ziel, das Ermüdung nie rechtfertigen würde, das die Verzweiflung an sich selbst durch das verzückte Bewusstsein von einem Leben jenseits des eigenen Ich versöhnen würde.“ Doch bot die viktorianische Gesellschaft wenige Ventile für ihre Energie, „deren liebevolle Herzschläge und Seufzer nach einem unerreichten Gut [daher] verklingen und zwischen den Hindernissen sich zerstreuen, anstatt in eine Tat zu münden, die noch lange sichtbar bliebe.“

George Eliot wurde von dieser moralischen Inbrunst, diesem Streben nach geistiger Vollkommenheit angetrieben. In ihren späten Jugendjahren und ihren frühen Zwanzigern wurde sie eine Art religiöser Kauz. In ihren Jugendjahren war sie vom religiösen Eifer durchdrungen, und in ihrer ichbezogenen Unreife verkörperte sie viele der bigotten und abstoßenden Aspekte der Gläubigkeit. Ihr Glaube zeichnete sich durch viel selbstbewundernde Entsagung und durch wenig Freude und menschliches Mitgefühl aus.

George Eliot wollte als Heilige bewundert werden

Sie hörte auf, Romane zu lesen, da sie glaubte, eine moralisch integre Person solle sich auf die reale Welt konzentrieren, statt sich in frei erfundenen Welten zu ergehen. Sie kleidete sich nach streng puritanischer Manier. In ihrer Jugendzeit führte George Eliot ein melodramatisches und narzisstisches Leben, voller einsamer innerer Qualen und Kämpfe und Resignation. Sie wollte ein Leben im Zeichen von Martyrium und Hingabe verbringen, aber sie engte sich dabei selbst in künstlicher Weise ein und tötete jede menschliche und liebevolle Regung ab, die nicht in diesen starren Rahmen hineinpasste.

George Eliot legte ein geziertes Getue an den Tag, das Ausdruck nicht echter moralischer Vortrefflichkeit, sondern des Wunsches war, als eine Heilige bewundert zu werden. Der Biograf Frederick R. Karl fasst die gängige Sichtweise zusammen: „Einmal abgesehen von ihrer hohen Intelligenz machte Mary Anne im Jahr 1838, kurz nach ihrem 19. Geburtstag, einen unerträglichen Eindruck.“ Glücklicherweise ließ sich ihr unruhiger, suchender Geist nicht lange einsperren. Sie war zu intelligent, um nicht in der Lage zu sein, sich selbst zu beobachten. Quelle: „Charakter“ von David Brooks

Von Hans Klumbies