Ralf Dahrendorf erklärt den Ausbruch von Revolutionen

Ralf Dahrendorf fasst Revolutionen als bittersüße Momente der Geschichte auf. Denn die Hoffnung flackert nur kurz auf, alsbald wird sie in Enttäuschung und neuen Missständen enden. Das gilt seiner Meinung nach für die großen Revolutionen wie 1789 in Frankreich und 1917 in Russland, aber auch für kleinere politische Umwälzungen. Vor dem Ausbruch der Revolutionen liegen fast immer Jahre der Unterdrückung, der Arroganz der Macht und der böswilligen Missachtung der menschlichen Bedürfnisse. Ralf Dahrendorf schreibt: „Ein erstarrtes altes Regime hängt an seine Privilegien, und wenn es sich zu erneuern versucht, glaubt niemand ihm mehr, und es kann daher seine verspäteten Pläne nicht durchsetzen.“

Die Lage vor einem Aufstand gleicht einem Pulverfass

Die Menschen wollen den alten Machtapparat, wie aktuell in Ägypten, nicht mehr ertragen. Die Konfliktenergien sammeln sich laut Ralf Dahrendorf in zunehmend spannungsreicher Konfrontation. Er schreibt: „Die Lage gleicht einem Pulverfass. Es braucht nur einen Funken – einen Funken der Hoffnung, etwa durch widerwillige politische Reformen, oder einen Funken der Erregung, etwa durch Schüsse zur falschen Zeit –, und schon folgt die Explosion, und das alte Gebäude beginnt zu wanken.“

Nichts hält mehr stand, der Hochverrat von gestern verwandelt sich zum geltenden Recht von heute, das alte Recht wird zum Verrat. Nicht nur die Missbräuche der alten Regierung, sondern sogar die Zwänge der Gesellschaft selbst scheinen sich in Luft aufzulösen. Was für eine lebendige Zeit. Doch sie dauert nicht lange, da die Normalität die Menschen wieder einfängt. Ralf Dahrendorf schreibt: „Schließlich kann man nicht unbegrenzt Tag für Tag demonstrieren oder auch Bürgerkriege kämpfen.“

Auf Revolutionen folgen tiefgreifende Veränderungen

Für Ralf Dahrendorf steht fest, dass revolutionäre Turbulenzen der Entwicklung der Wirtschaft eines Landes nicht weiterhelfen und die politische Instabilität Ängste bei der Bevölkerung weckt. Manchmal greift bei Aufständen oder Revolutionen auch eine äußere Macht ein und lässt dabei zwar nicht die Revolution, aber wenigstens die Utopie weiterleben. Manchmal entsteht auch ein neues Terrorregime. Ralf Dahrendorf erklärt: „Es mag eine Diktatur auf Zeit sein, ein Notstand im Angesicht äußerer Bedrohung oder einfach Charisma inmitten der Anomie; jedenfalls führt es zu neuer Unfreiheit.“

Erst Jahre späten merken die Nachgeborenen laut Ralf Dahrendorf, dass trotz allem tief greifende Veränderungen stattgefunden haben. Er schreibt: „Der erste Tag der Revolution wird zum öffentlichen Feiertag erklärt.“ Aber die Generation der Revolutionäre hat ihre Illusionen verloren. Sie sucht in dumpfer Unterwerfung, in Nischen des privaten Glücks oder in gelegentlichem, vergeblichem Protest zu überleben.

Kurzbiographie: Ralf Dahrendorf

Ralf Dahrendorf wurde am 1. Mai 1929 in Hamburg geboren. Er lehrte Soziologie in Hamburg, Tübingen und Konstanz und war seit 1969 Mitglied des Deutschen Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Von 1974 bis 1978 war er Direktor der London School of Economics und anschließend Warden des St. Anthony`s College in Oxford.

Zu seinen bekanntesten Büchern zählen: „Soziale Klassen und Klassenkonflikte in der industriellen Gesellschaft“, „Gesellschaft und Freiheit“, „Die angewandte Aufklärung“, „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“, „Fragmente eines neuen Liberalismus“ und „Betrachtungen über die Revolution in Europa“. Ralf Dahrendorf starb am 17. Juni 2009 in Köln.

Von Hans Klumbies