Peter Scholl-Latour analysiert die Radikalisierung im Nahen Osten

Der deutsche Journalist und ausgewiesener Kenner des Nahen Ostens Peter Scholl-Latour behauptet, dass es den sogenannten Arabischen Frühling überhaupt nicht gegeben hat. Denn er hat nach seiner Meinung ja nirgends positive Auswirkungen gezeigt. Er nennt ein Beispiel: „Selbst Tunesien, wo die größten Hoffnungen lagen, gleitet in Unruhen ab.“ Der Arabische Frühling war für Peter Scholl-Latour ein Aufbegehren gegen eine erstarrte Hierarchie, die zutiefst korrupt war, ein Ausdruck des Volkszorns. Aber wie sich die Revolution weiterentwickeln wird, weiß auch der Nahostexperte nicht. Aber eines glaubt Peter Scholl-Latour ganz sicher zu wissen, nämlich dass die Hoffnung auf eine Demokratisierung der Region nur eine Illusion des Westens war. Kaum ein zweiter Journalist der deutschen Sprache hat eine derartige Reise- und Rechercheerfahrung und eine so ausgeprägte Expertise in der Welt der internationalen Politik wie Peter Scholl-Latour.  

Die Werte der westlichen Gesellschaften lassen sich nicht auf den arabischen Raum übertragen

Die islamischen Länder werden laut Peter Scholl-Latour nicht danach streben, die westliche Lebensform zu übernehmen. Sie wollen ihren Lebensstil behalten und weiterentwickeln, sofern das innerhalb der strengen Auslegung von Koran und Scharia überhaupt möglich ist. Peter Scholl-Latour fügt hinzu: „Aber das ist deren Angelegenheit, darauf haben wir wenig Einfluss. Wir können unsere Gesellschaft nicht auf die übrige Welt übertragen, das gilt nicht nur für den arabischen Raum, sondern auch für China, Russland und andere.“

Der Westen hat sich im Arabischen Frühling nicht besonders durch Aktivität hervorgetan. Für Peter Scholl-Latour wäre es allerdings noch besser gewesen, er hätte sich überhaupt nicht eingemischt und ganz herausgehalten. Der Nahostexperte warnt davor, zu glauben, die Revolution wäre schon beendet. Ein Eingreifen des Westens in Syrien lehnt Peter Scholl-Latour ab, weil das Assad-Regime, das im Vergleich relativ erträglich war, dann möglicherweise durch eine salafistische Herrschaft mit extremer Auslegung der islamischen Gesetzgebung ersetzt wird.

Das Regime in Saudi-Arabien ist reaktionär und intolerant

Peter Scholl-Latour befürchtet, dass es nach dem Sturz von Baschar al-Assad zu einem weiteren Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen kommen wird. Seiner Meinung nach gibt es in Syrien zwei Konflikte. Der erste hat strategisch-wirtschaftliche Gründe: Die USA versuchen, eine gewisse Dominanz zwischen Mittelmeer und Mesopotamien aufrechtzuerhalten und zu verhindern, dass sich eine vom Iran beherrschte Landbrücke bis zum Mittelmeer bildet.

Den zweiten Konflikt verortet Peter Scholl-Latour in der Entschlossenheit der sunnitischen Kräfte, eine schiitische Vorherrschaft zwischen der Grenze Afghanistans und dem Mittelmeer zu verhindern. Er prognostiziert: „Das wird noch viel blutiger werden.“ Für geradezu absurd hält es Peter Scholl-Latour Saudi-Arabien als Verbündeten zu betrachten, es mit Waffen zu unterstützen und zur Vormacht des Orients aufzubauen. In Wirklichkeit ist Saudi-Arabien das reaktionärste und intoleranteste Land der ganzen Region, dessen Regime eigentlich nur mit dem der Taliban verglichen werden kann.

Von Hans Klumbies