Im Kapitalismus wir die Familie in den Hintergrund gedrängt

Für den Philosophen Dieter Thomä, der seit dem Jahr 2000 an der Universität St. Gallen in der Schweiz lehrt, ist der Kapitalismus ein familienfeindliches Wirtschaftssystem. Denn zwischen beiden ihm und der Familie besteht ein klassischer Konflikt. Im Kapitalismus zählt nur der eigene Profit, denn man aus seiner Tätigkeit erzielt. In der Familie dagegen wird ein unglaublicher Aufwand für andere betrieben. Große Ökonomen haben dies schon vor hundert Jahren beklagt. Dieter Thomä erklärt: „Ausgerechnet der große Kapitalismusverteidiger Joseph Schumpeter kam zu der Erkenntnis, das der individualistische Utilitarismus, den der Kapitalismus generiert, die Gesellschaft und damit die Familie zersetzt.“ Wer Familie hat, scheint auch an Freiheit einzubüßen. Dass ist laut Dieter Thomä die zweite, neuere Konfliktlinie zwischen Kapitalismus und Familie.

Heute sollte irgendwie jeder Mensch ein Kapitalist sein

Ein Kapitalist lebt in jeder Hinsicht von seiner hohen Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Er fürchtet die Festlegung wie ein Vampir das Tageslicht. Wer sich allerdings für eine Familie entscheidet, legt sich in hohem Maße fest, nicht nur mit seinem Kapital. Was den Konflikt zwischen Kapitalismus und Familien noch enorm verschärft, ist die vorherrschende Meinung, dass jeder Mensch irgendwie Kapitalist sein sollte. Dieter Thomä erläutert, wie dieser auszusehen hat: „Ungebunden, flexibel, an sich arbeitend, das Maximum aus sich herausholend, einsatzbereit, gewinnorientiert.“

Im Kapitalismus wird die Familie in den Hintergrund gedrängt, weil es ein Kapitalist schlecht verträgt, wenn sein Kapital zu lange gebunden ist. Er muss sich verändern, um seinen Profit zu maximieren. Dieter Thomä fügt hinzu: „Und er muss das Gefühl haben, am Drücker zu sitzen. Das ist für den Kapitalisten das höchste Gefühl der Freiheit.“ Aber es kommt dabei auch etwas Borniertes zum Ausdruck. Man könnte fast sagen etwas Unfreies. Laut Dieter Thomä schlägt sich der Kapitalist damit die Tür zu ziemlich glücksträchtigen Erfahrungen zu, die sich einstellen, wenn man sich vorbehaltlos auf andere Menschen einlässt.

Bei der Gründung einer Familie ist die klassische Risikoabwägung total unmöglich

Dieter Thomä sieht in der Familie zwar auch einen Tummelplatz für Veränderung. Aber selbst wenn die Familie auseinanderbricht, bleiben Festlegungen. Die Mitglieder einer Familie kann man nicht einfach abschaffen. Der Kapitalist dagegen geht ständig neue Risiken ein. Wer sich für eine Familie entscheidet geht auch ein Risiko ein, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Dieter Thomä erklärt: „Beim normalen Risiko nimmt man sich etwas vor und wägt die Möglichkeiten des Erfolges oder Scheiterns ab.“

Ganz anders verhält es sich laut Dieter Thomä mit der Entscheidung für eine Familie. Hier weiß vorher niemand, worauf er sich überhaupt einlässt und was man sich da eigentlich vornimmt. Das macht die klassische Risikoabwägung völlig unmöglich. Man kann weder die Entwicklung einer Familie überschauen, noch deren Chancen und Risiken einschätzen. Trotzdem muss man sich festlegen und zwar für eine sehr lange Zeit. Dieter Thomä ergänzt: „Das Besondere an dem Abenteuer Elternschaft ist eben eine ganz fundamentale Unabwägbarkeit dessen, was passiert – mit einem selbst, mit den Kindern mit der Beziehung zum Partner.“

Von Hans Klumbies

1 Gedanke zu „Im Kapitalismus wir die Familie in den Hintergrund gedrängt“

  1. Das scheint einige sehr interessante Ansätze zum Thema Sex, Sexualität und Beziehung zu haben. Klingt auf jedenfall spannend und lesenwert.
    Gruß Sheep

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