Alle Zwecke sind auf Mittel angewiesen

Das entscheidende Moment des moralischen Handels liegt in dem durchgängig von allen Beteiligten verfolgten Bemühen, sich wechselseitig durch Leistungen zu verbinden. Diese kann man aus freien Stücken derart erbringen, dass der Begünstigte einen merklichen Vorteil hat. Aber der moralisch Handelnde darf sich dabei nicht selbst in seiner Existenz vernichten. Volker Gerhardt erläutert: „Nur so kann die Freiwilligkeit beider Seiten eingebunden und das niemals bloß als Mittel verständlich gemacht werden.“ Ein Mensch muss sich nicht vom Leben distanzieren, um moralisch zu sein. Im Gegenteil: Er hat auch hier auf die durchgängige Vermittlung von Zwecken und Mitteln zu vertrauen. Zudem muss er wissen, dass alle Zwecke auf Mittel angewiesen sind, damit er sie erreichen kann. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Die Freiheit gehört zur Vernunft

Dass diese Freiheit dem Menschen tatsächlich offen steht, ist nach Immanuel Kant nicht zu bestreiten. In der „Kritik der praktischen Vernunft“ sucht er zu zeigen, dass die Freiheit auch in positiver Weise zur Vernunft gehört. Sie sei, so seine gewagte Formulierung, ein „Factum der Vernunft“. Immanuel Kant sucht damit der Vernunft die sie tragende Fähigkeit zu sichern, sich distanzieren, eigene Fragen stellen und eigene Ziele und Zwecke setzen zu können. Und das muss auch der tun, der die Freiheit in Zweifel zieht.

Insoweit kann man die Zwecksetzung durch die Vernunft tatsächlich als eine Art Tatbestand ansehen. Der Mensch kann sich Zwecke setzen und er kann, ja er muss dafür auch eigene Gründe nennen können. Und auf sie zielt der kategorische Imperativ von Immanuel Kant, wenn er verlangt, die Begründung nicht davon abhängig zu machen, dass die Erreichung des Zwecks vornehmlich auf berechenbare Vorteile gerichtet ist. Die technische Brauchbarkeit und der pragmatischen Nutzen kommen als Gründe nicht infrage.

Immanuel Kant betont die Eigenständigkeit des Menschen

Es geht allein darum, dass der Zweck als solcher den Einsatz der besten Kräfte verlangt. Erstmals hat Cicero folgende Begriffe als eigenständige Werte ausgezeichnet: die Person des Menschen, seine Würde und die Menschheit. Immanuel Kant beruft sich dagegen erstmals auf den Begriff der Autonomie, wodurch die Eigenständigkeit des Individuums betont ist. Diese setzt voraus, dass sich der Mensch von seiner Umgebung distanzieren, seine eigenen Zwecke setzen und sie nach seiner eigenen Einsicht verfolgen kann.

Auch als kultivierter und freier Mensch bleibt der Mensch an die Natur und ihren Zweck-Mittel-Konnex gebunden. Und als homo sapiens kann er sich derart von sich und seiner Umgebung distanzieren, dass er sich als autonomes, eigene Zwecke verfolgendes Wesen versteht. Max Weber hatte der „Gewissensethik“ eine „Verantwortungsethik“ gegenübergestellt. Denn dann brauchte man in der Politik nicht zu befürchten, dass es ausreicht, seinen guten Willen zu bekunden, ohne kenntlich zu machen, wie man ihn erfüllen kann. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies