Forscher stellen die Unterscheidung von Denken und Fühlen infrage

Alle gefühlsmäßigen Regungen, die ein Mensch verspürt, sind nicht allein durch äußere Umstände erklärbar, sondern verweisen immer auch auf eine komplizierte innere Entstehungsgeschichte. Ulrich Schnabel ergänzt: „Und darin sind alle möglichen Erwägungen eingeflossen – ist das normal oder verrückt, erlaubt oder verboten, hilfreich oder schädlich …?“ Je nachdem wie ein Mensch oder sein Umfeld eine bestimmte Situation bewertet, kann ein Gefühl sich verstärken, sich abschwächen oder im Nu umschlagen. Gefühle sind daher immer auch ein „bewusstes Konstrukt“ und werden von rationalen Erwägungen mit gesteuert. Deshalb gehen heute manche Forscher sogar so weit, die althergebrachte Unterscheidung von Denken und Fühlen generell infrage zu stellen. Einer davon ist der Hirnforscher Ernst Pöppel. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Jedes Gefühl ist auch Wahrnehmung und Erinnerung

Ernst Pöppel behauptet: „Zwar würde man in der westlichen Tradition seit 2.500 Jahren Begriffe wie Gefühl, Bewusstsein oder Intelligenz verwenden, aber diese Begriffe verschleiern, dass es diese Funktionen unabhängig voneinander gar nicht gibt. Es gibt kein Gefühl an sich, keine Wahrnehmung an sich, keine Erinnerung an sich, das ergibt sich aus der Anatomie des Gehirns: Es ist unglaublich eng vernetzt. Jedes Gefühl ist auch Wahrnehmung und Erinnerung, jeder rationale Prozess ist eingebettet in emotionale Bewertung.“

Ähnlich sieht es der amerikanische Hirnforscher Richard Davidson: Eine der „sieben Sünden der Emotionsforschung“ ist ihm zufolge die Ansicht, Denken und Fühlen ließen sich auf unabhängige neuronale Mechanismen im menschlichen Gehirn zurückführen. Un die Psychologin Lisa Feldman Barrett erklärt rundheraus: „Kognition und Emotion werden immer noch als unterschiedliche Prozesse in Geist und Gehirn angesehen, doch es mehren sich die Belege dafür, dass das Gehirn diese Unterscheidung nicht respektiert.“

Der Begriff „cogmotion“ betont die enge Verbindung von Kognition und Emotion

Lisa Feldman Barrett fährt fort: „Das bedeutet, dass jede psychologische Theorie, in der Gefühle und Gedanken sich gegenüber stehen oder in der kognitive Prozesse die Emotionen regulieren, falsch ist.“ Manchen Psychologen haben daher bereits den Begriff „cogmotion“ vorgeschlagen, um die enge Verbindung von Kognition und Emotion zu betonen. Für Ulrich Schnabel ist das ein reizvoller Vorschlag, der mit einem Schlag den alten Gegensatz zwischen Kultur und Biologie auflösen und damit auch den Streit um Ekmans „Universalemotionen“ überflüssig machen würde.

Wie allerdings die Geschichte der Emotionsforschung lehrt, ist eine schnelle Einigung auch in diesem Fall kaum zu erwarten: Schließlich wird die Wissenschaft, wie alle menschlichen Unternehmungen, nicht nur von rationalen Erwägungen, sondern mindestens ebenso sehr von Stolz, Eitelkeiten und persönlichem Geltungsbedürfnis angetrieben. Und diese Emotionen sorgen garantiert dafür, dass sich die Forscher noch lange um die richtigen Begriffe streiten werden. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies