Ähnlich ambivalent wie das Verhältnis von Sex und Geld stellt sich der Zusammenhang von Sex, Macht und Gewalt dar. Die Attraktivität von Macht liegt auf der Hand, denn sie bedeutet Schutz. Schutz vor den Gefahren der Umwelt und Schutz vor anderen Menschen. Thomas Junker fügt hinzu: „Auch deshalb kann das erotische Spiel mit Macht und Unterwerfung so reizvoll sein. Nicht nur der Marquis de Sade war ihm verfallen.“ Bis heute prallen die Meinungen unversöhnlich aufeinander, ob die spielerische Auseinandersetzung mit sexueller Macht und Gewalt für die psychische Gesundheit eines Menschen unabdingbar ist oder ob es sich um den ersten Schritt in die Inhumanität handelt. Da Männer von einer Vergewaltigung biologisch profitieren können, wenn es zur Schwangerschaft kommt, wäre es denkbar, dass in der Evolution eine entsprechende angeborene Neigung entstanden ist. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.
Sexuelle Gewalt wird von vielen Menschen scharf verurteilt
In Anbetracht der Regelmäßigkeit, mit der sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen in der Geschichte und Gegenwart der Menschheit vorkamen und vorkommen, muss man wohl davon ausgehen, dass es sich tatsächlich so verhält. Auf der anderen Seite wird sexuelle Gewalt aber von vielen Menschen scharf verurteilt und verbscheut. Wenn überhaupt, wird sie nur in streng reglementierter und institutionalisierter Form zugelassen. So galt beispielsweise in Deutschland Vergewaltigung in der Ehe noch vor wenigen Jahren nicht als Straftat.
Das Verbot sexueller Aggression bezieht sich zudem meistens nur auf die eigene Gruppe; nach außen, den anderen, den Fremden gegenüber ist sie, wie Aggression ganz allgemein, dagegen oft erlaubt. Thomas Junker stellt fest: „Nichtsdestoweniger bliebt festzuhalten, dass Vergewaltigungen in der Regel eben gerade nicht toleriert oder gutgeheißen werden. Dies liegt sicher auch an anerzogenen Moralvorstellungen.“ Könnte es darüber hinaus noch eine instinktive Ablehnung von sexueller Gewalt geben?
Sexuelle Gewalt gefährdet den Zusammenhalt einer Gemeinschaft
In der Evolution der Menschheit wäre dann nicht nur eine latente Bereitschaft zu sexueller Gewalt entstanden, sondern auch ihr Gegenstück. So wie man Aggression zwar in manchen Situationen akzeptiert, wenn sie einem nützt, sie in der Regel aber ablehnt und zu vermeiden versucht. Thomas Junker denkt, dass dies tatsächlich der Fall ist, und zwar aus einem einfachen Grund: Sexuelle Gewalt gefährdet den Zusammenhalt einer Familie und einer größeren Gemeinschaft.
Wenn diese Überlegung richtig ist, dann sollten Menschen eine tiefe und schwer auflösbare Ambivalenz sexueller Gewalt gegenüber verspüren: Faszination ebenso wie Abscheu. Der Versuch, sich Sex mit Gewalt zu nehmen, ist zudem riskant. So ist der Streit mit den Männern vorprogrammiert, die ihre Interessen durch das egoistische Vorpreschen eines Einzelnen gefährdet sehen. Und nicht zuletzt werden ernste Konflikte in der gesamten Gruppe heraufbeschworen, da der soziale Frieden massiv gestört wird. Quelle: „Die verborgene Natur der Liebe“ von Thomas Junker
Von Hans Klumbies