Die Menschen lernen in erster Linie von ihren Vorbildern

Das Wissen und Können eines Menschen beruht auf der Dichte der Verschaltungen seiner neuronalen Netzwerke, da jeder Lernprozess eine Vielzahl neuer Verknüpfungen schafft, die durch Übung verfestigt werden. Rotraud A. Perner nennt als Beispiele das Erlernen der Muttersprache, oder von Fremdsprachen, Musikinstrumenten, Sportarten, aber auch für das sich aneignen der sozialen Handlungsmuster. Und die Menschen lernen in erster Linie von ihren Vorbildern, wobei Rotraud A. Perner die medialen ausdrücklich dazuzählt. In seiner phallischen Phase fragt das Kind nach den Geschlechtsunterschieden, nach körperlichen Verschiedenheiten, die ihm zu dieser Zeit auffallen. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Ihr aktuelles Buch heißt  „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

Die Globalisierung hat zu einer Informationsschwemme geführt

Von Albert Einstein stammt der Satz, dass ein Mensch Erkenntnisse nur am Beobachter beobachten kann. Bei antiken Autoren fehlt allerdings vielfach die Möglichkeit der Zuordnung ihrer Gedanken zu ihrer jeweiligen Lebenssituation. Die Moral, wie Rotraud A. Perner sie interpretiert, gibt mit Bezug auf eine bestimmte Autorität, sei es Gott, der Staat, das Volk, die Wissenschaft oder irgendein Vordenker vor, was sein soll, während Ethik die höchstpersönliche Entscheidung für das angibt, was als gut angestrebt und als schlecht verworfen wird.

Rotraud A. Perner erläutert: „In der Vergangenheit, in der Bildung nur wenigen Menschen frei zugänglich war, hatten Moralvorschriften wohl nicht nur Sinn, sondern waren sogar ordnungsbestimmend notwendig.“ Heute dagegen sind die Menschen der westlichen Hemisphäre so gebildet wie kaum zuvor, allerdings auch mehr verbildet, denn nicht jede Information macht sie gesünder, klüger und glücklicher. Die Globalisierung und Pluralisierung haben zu einer Informationsflut geführt, vor allem auch, was die Sexualität betrifft.

Peter Gross entwirft die „Multioptionsgesellschaft“

Dahinter stehen selbstverständlich auch Gewinninteressen, die der Produzenten der Information, die der Multiplikatoren der Mitteilung, aber auch die der Konsumenten. Rotraud A. Perner fügt hinzu: „Abgesehen vom materiellen Profit streben die beiden erstgenannten Gruppen auch nach dem „Schatz“ von Lob und Ehre, denn es gibt eine Unzahl von Preisen, Orden oder Titeln zu gewinnen.“ Die Dritten streben nach der Sicherheit ihrer Identität, nach dem Wissen, das eine Normalität bescheinigt, auch wenn darin narzisstische Kompensationsbedürfnisse zum Ausdruck kommen sollten.

Die Konsumenten suchen gelegentlich auch nach flüchtigen Momenten der Selbstvergessenheit in der Entgrenzung. Peter Gross nennt die gegenwärtige „Multioptionsgesellschaft“: „Die endlose und kompetive Ausfaltung neuer Möglichkeiten ist omnipräsent, nicht nur in den Regalen der Supermärkte, sondern auch im Reich des Geistes.“ Damit verbunden ist seiner Meinung nach Entgrenzung, Entzeitlichung, Enthierarisierung und Entheiligung. Das bedeutet einen für alle jederzeitigen gleichen Zugang zu einem Markt, auf dem alles tauschbar und käuflich ist.

Von Hans Klumbies