In der Erotik bestimmen individuelle Vorlieben die Schönheit

Der große Denker Immanuel Kant schrieb über die Schönheit folgenden Satz: „Ein jeder muss eingestehen, dass dasjenige Urteil über Schönheit, worin sich das mindeste Interesse mengt, sehr parteilich und kein reines Geschmacksurteil sei.“ Triebhaftigkeit hat bei ihm keinen Platz. Für Rebekka Reinhard ist das Motiv dafür klar. Ihrer Meinung nach bringt nichts die Herrschaft des kühl urteilenden Verstandes schneller zu Fall als der animalische Drang nach Schönheit. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „Liebe ist aufgrund des ihr eigenen erotischen Trachtens die natürliche Feindin zweckfreier Kontemplation.“ Dr. Rebekka Reinhard studierte Philosophie, Amerikanistik und Italianistik und promovierte über amerikanische und französische Gegenwartsphilosophie. Zu ihren erfolgreichen Büchern zählen „Die Sinn-Diät“, „Odysseus oder Die Kunst des Irrens“ und „Würde Platon Prada tragen?“

Die Attraktion der pornographischen Schönheit liegt allein in ihrer schrillen Oberfläche

Nichts ist für Rebekka Reinhard parteilicher und distanzloser als das Interesse eines Liebenden an der Attraktivität der oder des Geliebten. Sobald die Erotik im Spiel ist, spielen die Kriterien der Objektivität überhaupt keine Rolle mehr und die Schönheit wird zu einer Frage individueller Vorlieben. Schon Sigmund Freud wusste, dass die Schönheit und der Reiz die ursprünglichen Eigenschaften des Sexualobjekts sind. Allerdings betrachtete er das Sexualleben der Kulturmenschen als schwer beschädigt.

Seit der Stress ein Phänomen der Massen geworden ist, hat es die Pornographie spielend geschafft, die Erotik zu verdrängen. Sexshops gehören zum ganz normalen Straßenbild. Verglichen mit allen anderen menschlichen Schönheiten stellt diejenige der Pornographie einen Sonderfall dar. Rebekka Reinhard erklärt: „Sie besteht in der Addition von Körperteilen, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Wesen ihres Trägers stehen. Die Attraktion der pornographischen Schönheit liegt allein in ihrer schrillen Oberfläche.“

Der Kitsch ist minderwertig durch seine Falschheit

Durch die Normalisierung der Porno-Ästhetik wird der Alltag unaufhaltsam vom Kitsch infiltriert. Denn Porno ist für Rebekka Reinhard nichts anderes als Kitsch. Die Philosophin definiert Kitsch wie folgt: „Kitsch ist der Sammelbegriff für ästhetisch minderwertige Produkte der Kunst und des Kunsthandwerks, des Films, der Reklame und des Designs.“ Minderwertig sind dabei ihrer Meinung nach aber nicht die künstlerischen Techniken, mit denen Kitschobjekte hergestellt werden. Was den Kitsch – die Pornographie – minderwertig macht, ist seine Falschheit.

Die Fundamente des Kitsches sind für Rebekka Reinhard die Lüge und die Illusion. Der Kitsch ist eine Welt des Traums, die keine Wünsche offen lässt, in der jede Sehnsucht Erfüllung findet. In einer solchen Welt darf jeder schön, erfolgreich und reich sein, wie er will. Alle Frauen sind dort vollbusig und höchst erotische Wesen, alle Männer mit Muskeln bepackt und ohne Furcht. Alle fahren einen Sportwagen oder haben zumindest eine Finca auf Mallorca. Jeder geht nur in der Sonne spazieren und trägt ein nie versagendes Lächeln zur Schau.

Von Hans Klumbies