Die Menschheit kennt mehr als nur eine Ordnungsform visionärer Kraft, die sich dem Prinzip Freiheit verpflichtet. Zusätzlich zur dreidimensionalen Kultivierung, also den visionären Kräften von Technik, Medizin und Erziehung, gibt es die konstitutionelle Demokratie. In ihr wird die politisch notwendige Herrschaft von den Betroffenen selbst ausgeübt und dabei an Freiheitsrechte, an negative und positive Freiheiten, gebunden. Otfried Höffe fügt hinzu: „Eine dritte Vision, eine der ältesten gesellschaftlichen Erfindungen, der Markt, erlaubt den Menschen, das für sie notwendige Arbeiten und Wirtschaften sowie jede Form von Wettstreit und Konkurrenz frei und selbstbestimmt, ohne Einschränkung seitens Dritter, vorzunehmen.“ In Bezug auf die Arbeit ergänzt der Markt das Freiheitspotential der Technik. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.
Die Politik hat selbst den Charakter eines Marktes
Während deren Freiheitsbeitrag in Geräten und Verfahren besteht, die die Arbeit erleichtern und deren Ertrag erhöhen, sorgt der Markt durch sein freies Spiel der Kräfte dafür, dass das zur Befreiung von Hunger und Armut notwendige Wirtschaften möglichst effizient stattfindet und dass sich die erforderlichen Begabungen entfalten. Er macht es möglich, Wettstreit friedlich auszutragen und stimuliert vermittels Konkurrenz zu innovativen Leistungen. In vorläufiger Bestimmung legt die rechtsstaatliche Demokratie den verbindlichen Rahmen fest, in dem sich der Markt entfalten darf.
Andererseits hat die demokratische Politik wegen des ihr innewohnenden Wettbewerbs in einem formalen Verständnis selbst Marktcharakter. Otfried Höffe erklärt: „Denn sowohl Personen als auch Organisationen, namentlich Parteien, nicht zuletzt Programme, konkurrieren miteinander: um Stimmen, um Ämter und um den Zugriff zu öffentlichen Finanzen.“ Obwohl beide Organisationsformen Visionen von Freiheit sind, laufen sie Gefahr, in mancher Hinsicht und unter gewissen Bedingungen die Freiheit zu gefährden.
Die Marktwirtschaft lässt sich schwerlich vom Kapitalismus abgrenzen
Seit einiger Zeit kommt noch eine weitere, zwischen Demokratie und Markt vermittelnde Vision hinzu, die Bürgergesellschaft mit den Bürgertugenden eines Bürgersinns. Otfried Höffe stellt fest: „Im Verlauf der europäischen Neuzeit ging der Markt eine so enge Verbindung mit einer speziellen Wirtschaftsform, dem Kapitalismus, ein, dass er sich als Organisationsform des Marktes, als Marktwirtschaft, schwerlich gegen den Kapitalismus abgrenzen lässt.“ Sowohl der Markt als auch der Kapitalismus zeichnen sich durch dieselben drei Strukturmerkmale aus.
Institutionell durch Privateigentum, motivational durch Gewinnsteigerung, sogar Gewinnmaximierung und vom Mechanismus der Koordination her durch freie Preisbildung. Mit dem ersten Merkmal gehen dezentrale Entscheidungen einher; wegen des zweiten Merkmals, dem Profitstreben, kommt es einerseits zu einer ungeahnten Dynamik und wird andererseits fast alles und jeder, werden nicht bloß Güter, sondern auch Dienstleistungen, mithin Arbeitskräfte, und Ressourcen, zu Handelsobjekten, zu Waren. Quelle: „Kritik der Freiheit“ von Otfried Höffe
Von Hans Klumbies