Es gibt eine Parallelwelt der Affekte

Der Bestandteil des menschlichen Geistes, der wie es scheint, das Dasein eines Menschen beherrscht, betrifft die tatsächliche oder aus dem Gedächtnis abgerufene Welt. Sie setzt sich zusammen aus ihren menschlichen oder nichtmenschlichen Gegenständen und Ereignissen. Diese sind in den unzähligen Bildern aller Sinneskanäle repräsentiert. Häufig übersetzt man sie in verbale Sprache und strukturiert sie in Narrativen. Antonio Damasio fügt hinzu: „Und doch gibt es bemerkenswerterweise auch eine mentale Parallelwelt, die alle diese Bilder begleitet und häufig so unterschwellig ist, dass sie für sich keinerlei Aufmerksamkeit fordert. Gelegentlich wird sie aber auch so bedeutsam, dass sie den Weg des hervorstechendsten Teils unseres Geistes verändert und manchmal fesselt. Dies ist die Parallelwelt der Affekte.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

In der Parallelwelt der Affekte leben die Gefühle

In dieser Welt findet der Mensch Gefühle, die neben den in der Regel beherrschenden geistigen Bildern herlaufen. Diese Gefühle haben folgende unmittelbaren Ursachen: den hintergründigen Lauf der Lebensprozesse im menschlichen Organismus, den man in Form spontaner Gefühle erlebt. Dazu kommen die emotiven Reaktionen, die durch die Verarbeitung unzähliger Sinnesreize wie Geschmack, Geruch, Tasten, Hören und Sehen ausgelöst werden. Deren Erleben ist eine von mehreren Quellen der phänomenalen Bewusstseins.

Weitere Ursachen sind die emotiven Reaktionen. Diese setzen manchmal sehr komplexe Situationen in Gang. Sie setzen sich zusammen aus der Tätigkeit von Trieben, Motivationen oder Emotionen in der konventionelleren Bedeutung des Begriffs, also Handlungsprogrammen. Solche Gefühle sind beispielsweise Freude, Traurigkeit, Furcht, Wut, Neid, Eifersucht, Verachtung, Mitgefühl und Bewunderung. Festzuhalten gilt, dass das gefühlte Erleben von Emotionen leider mit dem gleichen Namen bezeichnet wird wie die Emotionen selbst.

Der Geist hat immer ein Gefühl an seiner Seite

Dies hat zu der falschen Vorstellung beigetragen, dass Emotionen und Gefühle ein und dasselbe Phänomen sind. In Wirklichkeit sind sie ganz verschieden. „Affekte“ ist also ein weitgefasster Oberbegriff. Unter diesen ordnet Antonio Damasio nicht nur alle möglichen Gefühle ein, sondern auch die Situation und Mechanismen, die für ihre Entstehung verantwortlich sind. Das heißt für die Erzeugung der Abläufe, deren Erleben sich in Gefühle verwandelt. Gefühle begleiten den Ablauf des Lebens im menschlichen Organismus. Ob man nun wahrnimmt, lernt, sich erinnert, sich etwas vorstellt, überlegt, beurteilt, entscheidet, plant oder mental etwas erschafft.

Man kann Gefühle so betrachten, als wären sie nur gelegentliche Besucher des Geistes oder als würden sie nur von den typischen Emotionen verursacht. Das entspricht jedoch nicht dem Phänomen in seiner Allgegenwart und in der Wichtigkeit seiner Funktion. So gut wie jedes Bild in der großen Prozession, welche die Wissenschaft Geist nennt, hat ein Gefühl an seiner Seite. Und zwar von dem Augenblick, in dem ein Element erstmals ins Rampenlicht der Aufmerksamkeit gerät, bis zu dem Zeitpunkt, da es die Bühne wieder verlässt. Quelle: „Im Anfang war das Gefühl“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies