Das Verhältnis des Menschen zum Tier ist höchst differenziert

Konrad Paul Liessmann macht darauf aufmerksam, was das Tier für den Menschen schon alles gewesen ist: „Spiegelbild und Gegenbild, Figur der Sehnsucht und des Grauens, Ausdruck von Angst und Herrschsucht, Beute und Bestie, und immer wieder: Natur, Natur, Natur – in all ihrer Wildheit und Schönheit und im Wissen, dass diese Natur das Andere des Menschen und doch er selbst sein kann.“ Die Verbindung von Mensch und Tier hat eine lange, wechselvolle und ist zugleich eine Geschichte der Widersprüche. Dabei ist manchmal alles andere als klar gewesen, ob die Menschen Tiere sind oder Tieren auch Menschliches zugeschrieben werden könnte. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie der Universität Wien. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Die Theorie der Unbildung“ und „Das Universum der Dinge.“

Das Haustier ist zum ständigen Begleiter des Menschen geworden

Seit der Mensch glaubt, dem Reich der Tiere entkommen zu sein, gestaltet er sein Verhältnis zum Tier in höchst unterschiedlicher Art und Weise. Das Tier bleibt auch im Zeitalter der Moderne und der Beherrschung der Natur etwas Bedrohliches, ein Raubtier, ein Feind des Menschen, der nicht gezähmt, beziehungsweise nicht einmal richtig gebändigt werden kann. Deshalb werden die Tiere gejagt, getötet und im schlimmsten Fall ausgerottet. Auf der anderen Seite ist das Haustier zum ständigen Begleiter des Menschen geworden, ein Objekt des Vergnügens, mitunter sogar ein Freund.

Das Tier stellte aber auch immer eine Nahrungsquelle für die Menschen dar. Daneben war es ein Sinnbild dessen, was der Mensch nicht war und vielleicht doch sein wollte. Konrad Paul Liessmann stellt sich die Frage, ob nicht alle Fabeln gleichermaßen Ausdruck einer genauen Kenntnis tierischer Verhaltensweisen und menschlicher Tugenden und Laster sind, die in ihrer tierischen Gestalt deutlicher zutage treten können. Und das Tier ist außerdem Projektionsfläche jener Imaginationen von Natur, die sich der Mensch als Sehnsuchtsort immer wieder entwirft.

Forscher entdecken immer mehr menschliche Fähigkeiten bei Tieren

Laut Konrad Paul Liessmann ist die früher vermeintlich so klare Grenze zwischen Mensch und Tier seit langem immer brüchiger und durchlässiger geworden. Er erläutert: „Primatenforscher, Ethologen, Kognitionswissenschaftler und Biologen erkennen bei unterschiedlichen Tieren, bei Menschenaffen, aber auch bei Vögeln, Ratten und Delfinen, immer mehr Fähigkeiten, die früher ausschließlich dem Menschen zugeschrieben worden sind: komplexe kognitive Leistungen, Werkzeuggebrauch, Einfühlungsvermögen, die Herausbildung von Traditionen, kulturelle Praktiken.“

Inzwischen gilt der Wunsch eines Menschen, kein Tier zu sein, sogar als höchst anstößig. Wer dieses Verlangen äußert, gilt heute als Speziesist, als Vertreter eines Rassismus der Arten. Konrad Paul Liessmann weist darauf hin, dass es eine uralte Einsicht ist, den Menschen als Tier zu bezeichnen. Für die Philosophie der Antike war dies zum Beispiel selbstverständlich, es ging ihr nur darum, die spezifische Differenz aufzuzeigen, die dieses Menschentier von anderen Tieren unterschied. Alle klassischen Definitionen des Menschen wissen um die Tierheit des Individuums.

Von Hans Klumbies