Für die amerikanische Historikerin Joyce Appleby war ein wichtiger Faktor des Triumphs des Kapitalismus über die alte Ordnung, dass die Menschen ihre fundamentalen Wertvorstellungen änderten. Zuvor speiste sich ihr Bild der Welt aus einem Katalog aufeinander abgestimmter Ideen, die in einer Epoche des Mangels dafür geeignet waren, den Lauf der Dinge zu verstehen. Joyce Appleby schreibt: „Sie kamen zum Ausdruck in Volksliedern, Predigten und Sprichwörtern und dienten nicht zuletzt dazu, jedermann seinen Platz in der Hierarchie der Gesellschaft zuzuweisen.“ In der Regel denken auch heute die meisten Menschen über die gesellschaftlichen Normen und Werte, die sie schon in ihrer Kindheit prägen, in ihrem späteren Leben nicht mehr viel nach.
Im Kapitalismus bilden sich soziale Klassen heraus
In einer Geschichte des Kapitalismus lassen sich laut Joyce Appleby die sozialen Werte nicht ignorieren, denn die Entstehung des Kapitalismus setzte voraus, dass die Menschen ihr Verhalten änderten, dass sie Wagnisse eingingen und neue Wege beschritten. Der Aufstieg des Kapitalismus war also auf das Engste mit einem tiefgreifenden Wertewandel verbunden. War in der traditionellen Gesellschaft eine starre hierarchische Struktur gegeben, bildeten sich mit der Entstehung des Kapitalismus soziale Klassen heraus, die sich vor allem nach der Stellung ihrer Mitglieder im Wirtschaftsleben unterschieden.
Joyce Appleby erklärt: „Kapitalistischer Unternehmergeist stellte sich also ganz entschieden quer zu den traditionellen gesellschaftlichen Normen. In der modernen Gesellschaft ist zum Beispiel die Hoffnung auf ein besseres Leben ein ganz wesentlicher Ansporn für wirtschaftliche Innovation.“ In der vorkapitalistischen Epoche dagegen gab es in der Regel keine Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. Der Status des Einzelnen stand von Geburt an fest und konnte auch durch hervorragende Leistungen nicht abgelegt werden.
Sein Verhalten ändert der Mensch nur aus eigener Einsicht
In den Anfängen, der vom Kapital geprägten Zeit, verliefen die Klassengrenzen zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern. Im Gegensatz dazu fühlt sich in den USA heute fast jeder der Mittelschicht zugehörig. Joyce Appleby schreibt: „Früher bestand die Mittelschicht (oder das Bürgertum oder die Bourgeoisie) aus vermögenden Kaufleuten, Ärzten und Rechtsanwälten, die nicht dem Adel angehörten, aber auch keine handwerklichen Arbeiten verrichteten.“
Wird ein Mensch nicht durch äußere Umstände dazu gezwungen, sein Verhalten zu ändern, tut er dies laut Joyce Appleby nur aus eigener Einsicht. Es dauert in der Regel ein bis zwei Generationen, bis sich neue Ideen durchgesetzt haben, da die Innovationen in den bestehende Kultur eingepasst werden müssen. Um etablierte Regeln und Verhaltensweisen zu verändern, müssen die Befürworter und die Gegner über das Für und Wider der Alternativen diskutieren. Laut Joyce Appleby ließen sich die kapitalistischen Werte nicht durch höhere Autoritäten durchsetzen, da die neue Unternehmerwirtschaft im Kern gerade auf der Initiative des Einzelnen beruht.
Von Hans Klumbies
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